Wenn tote Züge Verspätung haben

Weil ein Schiff kurzfristig zwei Tage Verspätung hat, sonne ich mich in einem toten Zug. Nachdem ich Salz vom Boden geleckt habe. Wo? In Bolivien.

Was das bedeutet? Das lest Ihr hier:

Zunächst einmal muss ich zugeben, dass die Überschrift irreführend ist. Ein toter Zug kann natürlich keine Verspätung haben. Und die Verspätung, die Auslöser für diese Geschichte ist, ging auch nicht von einem Zug aus. Auch wenn wir Deutschen das Wort Verspätung ja eigentlich nur im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn kennen. Was übrigens vollkommener Blödsinn ist. Die Züge der Deutschen Bahn sind unglaublich pünktlich. Außerhalb Deutschlands scheinen wir Unpünktlichkeit übrigens ungefragt zu akzeptieren. In Thailand beispielsweise werden die Abfahrtszeiten der Züge auf Kreidetafeln gemalt. Und wenn ein Zug Verspätung hat, dann wird einfach die alte Zeit abgewischt und eine neue hingeschrieben. Das scheint dort niemanden zu stören. In China sind die Züge überpünktlich. Dort war meine Erfahrung allerdings, dass sie auch ewig lange im Bahnhof stehen. Durch diese Verlängerung der Haltezeiten ist es natürlich auch einfacher, pünktliche Abfahrtszeiten zu gewährleisten. Man hat ja immer einen Puffer. Das alles sollte man berücksichtigen, wenn man über die Deutsche Bahn meckert. Aber ich schweife ab. Und ich gebe zu, dass Japan in puncto Zug-Pünktlichkeit nochmal einen drauf setzt (letzter Absatz in „Terminologie“). Aber die Asiaten sind, was Züge angeht, eh Freaks. Ich habe einen Taiwanesen im Zug getroffen, der behauptet hat, dass er in über 150 verschiedenen Zügen rund um die Welt mitgefahren ist. Wahnsinn. So, jetzt aber zurück nach Südamerika.

Denn es geht ja um etwas, das tatsächlich Verspätung hatte. Massiv Verspätung sogar. Nicht fünf oder zehn Minuten. Aber von vorn. Ich hatte meine gesamte Reise ja so organisiert, dass es einige Fixpunkte gab, die terminlich fixiert waren und an denen sich die – sonst recht flexible – Planung orientieren musste. Einer davon war das Formel-Eins-Rennen in Shanghai, das sich schlecht flexibel veschieben lassen würde, sollte mir etwas dazwischen kommen. Ein anderer (unter vielen) war die Fahrt mit einem Frachtschiff von Puerto Natales nach Puerto Montt. Auch hier hatte ich natürlich wenig (also keinen) Einfluss auf Datum und/oder Abfahrtszeit. Aber ich hatte einen Termin. Einen Termin, der ziemlich knapp kalkuliert war. Und für den ich ziemlich hetzen musste, um ihn zu erreichen. Ich langweile hier mal nicht mit den Details der Plan-Entstehung, sondern dem Ergebnis: ich musste meinen Gletscher-Besuch am Perito Moreno um 14.00 Uhr abschließen, damit ich um 16.30 Uhr den Bus in El Calafate bekommen würde, der mich dann nach Puerto Natales fährt. Dass mein Bus am Gletscher noch circa eine halbe Stunde steht, weil wir auf ein italienisches Pärchen warten, das sich nicht an die Abfahrtszeit hält und meine Nervosität von Minute zu Minute weiter steigt – geschenkt! Hat alles geklappt, ich erwische meinen Bus und bin um 21.00 Uhr in Puerto Natales. Und am nächsten Morgen um 9.00 Uhr ist dann Boarding fürs Schiff – am frühen Nachmittag dann Abfahrt. Der weitere Verlauf ist lose geplant – sieben Tage später muss ich in Santiago sein, damit ich meinen gebuchten Flug nach Auckland bekomme. Vier Tage soll die Überfahrt dauern. Mir bleiben also noch drei Tage für den Weg von Puerto Montt nach Santiago. Die Route habe ich mir schon mal angeschaut, einige Zwischenziele raus gesucht. Das würde bestimmt ganz interessant werden. Vor allem Valdivia hat mein Interesse geweckt. Ein deutsches Dorf mit Brauerei und Oktoberfest mitten in Chile. Da will ich hin!

Als ich nach einigen Irrungen und einem Zwei-Kilometer-Marsch mit Rucksack in der Dunkelheit von Puerto Natales endlich an meinem Hostel ankomme, freue ich mich auf die Schifffahrt. Ich möchte nur noch schnell schauen, wo ich am nächsten Tag sein muss und wie das Boarding-Prozedere aussehen wird und dann nichts wie ab ins Bett, damit es bald morgen wird! Wale gucken und durch enge Fjorde fahren – geil! Als ich mich in meinen Mail-Account einlogge, habe ich eine Nachricht von der Schifffahrtsgesellschaft. Mein Schiff hat eine leichte Verspätung. Die neue Abfahrtszeit: zwei Tage später! Das ist ein Brett. Die Begründung: schlechtes Wetter in den LETZTEN WOCHEN! Die Verspätung kommt also nicht von heute auf morgen, sondern hat sich anscheinend lange angekündigt. Für die Gesellschaft scheinbar aber kein Grund, mir das frühzeitig mitzuteilen, so dass ich meine Pläne darauf ausrichten könnte. Nein, es reicht anscheinend aus, das 12 Stunden vor Abfahrt zu tun.

Jetzt hatte ich ein Problem. Nicht nur, dass ich nicht wusste, was ich jetzt zwei Tage in Puerto Natales tun sollte (für die Stadt zu viel, für das nahegelegene Torres del Paine zu wenig). Nein, das brachte mich auch in Bedrängnis, meine Pläne für die Weiterreise zu halten. Ursprünglich hatte ich ja drei Tage eingeplant, um von Puerto Montt nach Santiago zu kommen. Durch die Verspätung schrumpfte dieses Fenster auf einen Tag zusammen. Risky business in Chile, wenn man einen 1.600 EUR teuren Flug bekommen möchte.

Glücklicherweise bietet die Gesellschaft einen 100-prozentigen Refund (jaja!) der Tickets an, wenn man jetzt storniert. Ich überlege hin und her und erinnere mich, dass ich bei der ersten Reiseplanung die Atacama-Wüste und Bolivien vollständig ausgeklammert hatte, weil dazu einfach keine Zeit mehr war. Ich wollte ja unbedingt die Schifffahrt machen. Es dauert nicht lange, bis ich entscheide, diese Verspätung als Wink des Schicksals zu betrachten und als Gelegenheit, Atacama und Bolivien aufzunehmen und das Frachtschiff auszuschließen. Ich storniere also das Ticket und buche einen Flug von Punta Arenas in der Nähe von Puerto Natales über Puerto Montt (welch Ironie!) nach Calama. Und freue mich – ich alter Sternegucker – auf den klarsten Nachthimmel dieser Welt.

Auf dem Weg nach Calama muss ich in Santiago zwischenlanden. Und dort drei Stunden zubringen. Da mir langweilig ist, laufe ich durch den Flughafen. Und finde dort einen Stand von M&Ms. An diesem Stand gibt es einen Haufen Fan-Artikel der kleinen Knusper-Schokolade. Und jede Menge Mars, Snickers, Bounty und was der Konzern sonst noch alles herstellt. Es gibt aber noch etwas viel Wichtigeres, was ich entdecke, als ich neben dem Stand auf mein Handy schaue – es gibt WLAN (passenderweise namens M&M1)! Ich begebe mich also zum M&M-Stand, suche mir etwas Lustiges aus (ein Plastik-M&M als Koffer-Badge – classic!) und gehe zur Kasse. Ganz mit leeren Händen will ich ja auch nicht nach dem WLAN-Passwort fragen. Als ich dort dann so stehe, bekomme ich noch Lust auf…na klar!…M&Ms. Ich frage den Typen an der Kasse also nach Passwort und der Süßigkeit. Das Passwort schreibt er mir sofort auf, aber mit den Schokolädchen könne er mich leider nicht versorgen, sagt er. Ich glaube, dass ich ihn falsch verstanden habe und frage noch mal, wo denn die M&Ms seien und dass ich gerne eine Packung hätte. Und er erklärt mir nochmal, dass man hier keine M&Ms kaufen könne. Dass das aber doch ein M&M-Stand sei, entgegne ich. Und er – total sorry! – entgegnet, dass er leider keine habe. Ich könnte etwas aber mal bei dem anderen Stand versuchen – auf der anderen Seite der Säule. Das muss ich genauer wissen und gehe da rüber. Exakt der selbe Stand, exakt dieselben Artikel. M&M-Fanartikel, Kuscheltiere, Schokoriegel und Kaubonbons jeglicher Couleur – aber keine M&Ms. Dafür ein eigenes WLAN-Netz (M&M2).

Mit einem Koffer-Badge, einer Packung M&Ms vom nächstgelegenen Kiosk (hmpf!) und einem Lächeln, das typisch für diese Reise werden soll, geht’s dann zum Gate. Das Lächeln…ist dieses Lächeln, das sich wahrscheinlich jeder Lang-Reisende irgendwann zulegt. Das kommt immer dann, wenn einem Dinge widerfahren, die in der eigenen Kultur total unverständlich wären. Die absurd sind. Irgendwie. Von der Kultur, vom Gegenüber, von wem auch immer. Und man schafft es trotz aller Absurdität und dem Ärger, den es eventuell verursacht, das dennoch als selbstverständlich hinzunehmen. Als unveränderbar. Und man selbst kann gar nicht anders, als es einfach zu akzeptieren. Weil alles andere eh nichts bringt. Dieses Lächeln setze ich auf, wenn in Thailand mal eben ein Zug eine Stunde Verspätung hat. Oder ein Grenzbeamter meine Einreise verweigert (aber das ist eine andere Geschichte). Oder ein Koreaner die Geschichte erzählt, wie sein Land 1950 glorreich die Amerikaner besiegt hat (aber das ist eine andere Geschichte). Oder heute Leute auf dem Bahngleis motzen, weil der ICE von Hamburg nach München fünf Minuten Verspätung hat. Es ist das Lächeln eines reinen und offenen Herzens und es fühlt sich verdammt gut an!

Und das auch, weil man mit diesem Lächeln plötzlich viel offener für alles Glück ist, das einem so zuteil wird. Mein nächster solcher Moment wartete in Calama auf mich. Denn dort sollte die Atacama-Wüsten-Nacht gleich mal halten, was sie verspricht. In Calama wird gerade der Flughafen umgebaut – deswegen gibt es keine direkte Verbindung zwischen Flugzeug und Terminal. Wir steigen also über eine Treppe aus und laufen dann ungefähr einen halben Kilometer über das Flugfeld.

CalamaAirport

 

So sah der Weg aus. Und links war der Nachthimmel. Das Bild ist allerdings vom Rückflug…tagsüber sieht man das einfach besser 😉

 

Ich finde das faszinierend und schaue mich wie ein kleines Kind die ganze Zeit um, will alles aufsaugen und bin begeistert von diesem riesigen, dunklen Himmel, der dicht gespickt ist mit so vielen Sternen, wie ich sie noch nie in meinem Leben vorher gesehen habe. Und während ich in der Gruppe mit hundert anderen Reisegästen da so lang laufe und beseelt bin vom Anblick dieses Sternenhimmels, da jagt eine riesige, grüne Sternschnuppe einmal quer über den Himmel. Wirklich quer. Von ganz rechts oben nach ganz links unten. Mit einem Schweif. Einem richtigen, großen, grünen Schweif. Und so hell, dass das Ganze noch einen Moment auf meinen Augen nachbrennt. Ich laufe übrigens die ganze Zeit. Ich laufe auch weiter, während die Sternschnuppe runter kam. Und jetzt zeige ich stumm mit meinem Arm, in die Richtung, aber keiner der Mitreisenden nimmt Notiz. Ich will irgendwas sagen, bringe aber nichts außer „Adda, da. Ui“ raus. Und stelle langsam fest, dass ich wohl der Einzige bin, der davon fasziniert ist. Für alle anderen muss es wohl selbstverständlich sein. Hier gibt es wohl so viele Sternschnuppen jede Nacht, dass das nix Besonderes war. Denke ich in diesem Moment. Ohne zu wissen, dass das das Größte und Beste war, was ich jemals an einem Nachthimmel erspähen sollte (zumindest ohne Teleskop). Und dass es die anderen wahrscheinlich einfach gar nicht gesehen haben. Manchmal – wenn man mit offenem Herzen durch die Welt geht – widerfahren einem genau diese Dinge. Und sie widerfahren auch nur denen, die ihr Herz geöffnet haben. Die anderen können – wie in diesem Fall – alle zur selben Zeit am selben Ort sein und trotzdem diesen Moment verpassen. Es ist eine wunderbare Werbung dafür, immer und überall Augen und Herz zu öffnen und aufmerksam und wachsam zu sein für diese kleinen Momente, die einem das Leben manchmal schenkt. Denn ab und zu ist unter all den wundervollen kleinen Moment auch mal ein richtig Großer dabei.

Alleine dafür hätte es sich schon gelohnt, die Schiffsreise zu stornieren, aber es sollte ja noch so viel mehr kommen.

Meine Busfahrt von Calama nach San Pedro de Atacama dauert noch mal über zwei Stunden, aber ich bin die ganze Zeit so beseelt von meiner Sternschnuppe, dass die Zeit einfach verfliegt. Und hänge die ganze Zeit am Fenster, schaue auf den Nachthimmel und staune. Auch wenn da „nur“ ganz viele Sterne zu sehen sind.

Als ich in San Pedro ankomme, ist es Mitternacht. Wo ich genau hin muss, kann mir keiner sagen. Ich habe ein paar grobe Anhaltspunkte, aber die Straßen sind dunkel und es leuchten nur wenige Laternen. Nach ein bisschen Suchen finde ich die Adresse aber die Tür ist verschlossen und nichts deutet darauf hin, wann und wie sie sich öffnen ließe. Das Ganze fühlt sich eher nach Wohngegend an, irgendwo recht nah bellt ein Hund und ich kann nicht sagen, dass ich mich sonderlich wohl fühle. An der Tür entdecke ich irgendwann eine Klingel. Ich klingele und hoffe und bete, dass jemand aufmacht. Es dauert quälende fünf Minuten und dann öffnet mir ein junger Mann mit verschlafenem Blick und noch verschlafenerem Schlafanzug die Tür. Wir flüstern und ich teile ihm mit, dass ich vor ein paar Stunden online ein Zimmer gebucht habe. Er murmelt irgendwas, bittet mich herein, zeigt mir kurz den Schlafraum und sagt, dass wir alles Weitere morgen besprechen. Passt für mich.

Am nächsten Morgen stellt er mich dann seinem Kumpel vor und der ist passenderweise Tour-Anbieter. Er stellt mir das gesamte Angebot vor – unter anderem eine viertägige Jeep-Tour nach Uyuni. Ich erinnere mich an einen guten Freund, der mir vor meiner Reise erzählt hatte, dass ich Uyuni auf jeden Fall mitmachen müsse. Ich sagte damals, dass ich das nicht schaffen würde und dass ich eh gehört hätte, dass dort im März Regenzeit wäre und man nicht hin könne. Dieselbe Argumentation bringe ich jetzt bei meinem neuen chilenischen Freund und Tour-Anbieter vor. Er sagt, das wäre Quatsch und ich solle das auf jeden Fall machen. Letztlich sagt mein Bauch „Ja!“, also buche ich die Tour und sitze am nächsten Tag in einem Bus nach Bolivien. Nach meiner Rückfahrt unterhalte ich mich übrigens noch stundenlang mit meinem neuen chilenischen Freund über Literatur und schenke ihm am Schluss als Erinnerung an unser Gespräch mein gerade frisch ausgelesenes Exemplar von „The Devil and Miss Prym“ von Paolo Coelho.

Der Bus bringt uns bis zur Grenze zwischen Chile und Bolivien, die Fahrt dauert etwa eine Stunde und unser Fahrer ist richtig gut gelaunt. Erzählt irgendwas auf Spanisch, singt ein wenig, lacht viel und stört sich nicht daran, dass keiner ihn versteht, weil keiner von uns spanisch spricht. Als wir ankommen, bittet er einen Mitreisenden, doch kurz seinen Thermosbecher zu halten, während er unser Gepäck auslädt. Mein Mitreisender ist neugierig und nimmt einen Schluck und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er das Gesicht verzieht. Er wird mir später sagen, dass das Getränk im Thermosbecher Whiskey war und das wiederum wohl der Grund für die gute Laune unseres Fahrers. Irgendwie gut, dass wir das erst wussten, als wir schon da waren. Naja, noch nicht da, aber auf unserer ersten Zwischenstation, wo wir Fahrzeuge und Land wechseln sollten. An dieser Grenze nämlich sollte uns ein Jeep abholen, der uns dann die nächsten vier Tage durch Bolivien kutschieren würde. Vorher aber müssten wir noch die Grenzformalitäten erledigen. Wir werden also ins Grenzgebäude geführt, wo fachmännisch unsere Pässe gecheckt werden. Die Reisenden aus den anderen Bussen müssen jeweils 30 Dollar Gebühr bezahlen. Alle, die die etwas teurere Tour gebucht haben (Cordillera Travel) sparen sich diese Gebühr. Und haben ihre Mehrkosten damit dann auch schon wieder raus.

Es gibt wohl besser bewachte und modernere Grenzen als jene zwischen Chile und Bolivien bei San Pedro.
Es gibt wohl besser bewachte und modernere Grenzen als jene zwischen Chile und Bolivien bei San Pedro de Atacama.

Im Jeep nehmen neben mir noch ein holländisches Pärchen und zwei Schweizer Mädels Platz. Und unser Fahrer, der sich als Felix vorstellt. Nachdem wir uns alle bekannt gemacht haben, kehrt erstmal Ruhe ein. Irgendwann stellen wir fest, dass niemand von uns spanisch spricht. Blöd daran ist, dass Felix ausschließlich spanisch spricht. Das klingt schwierig, wurde aber echt witzig. Felix erzählt uns bei jeder Sehenswürdigkeit auf Spanisch, was wir da zu sehen bekämen und das eine Schweizer Mädel und ich legen unsere radebrechenden Spanisch-Kenntnisse zusammen und versuchen zu ergründen, was er uns sagen will. Das führt ganz bestimmt zu einer Reihe von Missverständnissen, auf jeden Fall aber zu viel guter Laune und Lachen.

Die Tour an sich ist unglaublich eindrucksvoll. Wir fahren tatsächlich die ganze Zeit nur Auto. Stundenlang. Und stoppen dann hier und da mal für ein paar Minuten, um Fotos zu machen. Das läuft dann ungefähr so: man sitzt im Jeep und fährt quer durch die Wüste. Rechts liegen ein paar Berge, links ein See, voll mit grünem Wasser. Der wurde angekündigt von Felix mit „Esto es la laguna verde!“. Dann halten wir irgendwo an. Felix sagt „Foto! Foto! Viente minutos“. Wir steigen aus, dürfen 20 Minuten Fotos machen, steigen dann wieder ein und dann geht’s weiter durch die Wüste zur nächsten Sehenswürdigkeit. Ein paar davon seht Ihr in der Fotogalerie.

Roter See LagunaColorada2 LagunaColorada Landschaft Flamingo Felix
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An den Bildern ist nix bearbeitet - das sah wirklich so aus. Und das romantische, grau-grüne Zeug da am See ist Flamingo-Scheiße.

Spannend wird die ganze Geschichte, als wir an unserer ersten Übernachtungsmöglichkeit ankommen. Es handelt sich um eine Art Herberge an der Laguna Colorada, dem bunten See. Herberge ist eigentlich schon zu viel gesagt. Es ist ein Haus, immerhin aus Steinen. Mit einer Küche, Zimmern, die durch Vorhänge vom Flur getrennt sind. Fenstern mit Fensterläden, aber ohne Scheiben. Isolation, Dämmstoff, irgendetwas, das Außen und Innen wirklich voneinander trennt? Fehlanzeige! Und da ist es wieder, dieses Lächeln!

Das war also das romantische Plätzchen, in dem wir nächtigen durften und das uns vor der Bitterkälte draußen beschützen sollten.
Das war also das romantische Plätzchen, in dem wir nächtigen durften und das uns vor der Bitterkälte draußen beschützen sollte.

In dieser Herberge werden wir mit den Reisenden aus den anderen Jeeps zusammen geworfen. Ein Phänomen, das immer wieder auftritt, wenn wir irgendwo anhalten. Denn alle Jeeps fahren natürlich dieselben Routen, dieselben Sehenswürdigkeiten ab. Und jedes Mal, wenn wir anhalten, um Fotos zu machen, steht da schon ein anderer Jeep oder kommt gerade ein anderer Jeep angerollt und wir treffen die anderen Reisenden, tauschen uns aus und verabschieden uns bis zum nächsten Stopp.

In der Herberge haben wir nun also etwas mehr Zeit, um uns kennen zu lernen. Und nach dem üblichen „Wer bist Du? Von wo kommst Du?“ fliegen recht bald Infos über unsere Tour hin und her. So dass dann irgendwann auch tatsächlich jedem bewusst wird, dass an dieser Übernachtung drei Dinge spannend werden: 1) wir befinden uns auf 4.800 Metern überm Meeresspiegel. 2) Hier ist es tagsüber bis zu 40 Grad warm, aber nachts kühlt es ganz gerne auf minus zehn Grad ab. 3) Man kann sich ein paar Decken leihen, wenn’s einem im Schlafsack zu kalt sein sollte.

Die Höhenkrankheit ist ein seltsames Phänomen, über das noch einiges ungeklärt ist. Es gibt ein paar Hinweise dazu vom Auswärtigen Amt, die helfen sollen, sich damit zurecht zu finden. Zentrale Aussage: es erwischt ungefähr einen von zehn, man weiß nicht, wieso und wen es trifft, es ist unabhängig von Alter und körperlicher Konstitution. Es kann Dich also treffen, obwohl Du komplett fit bist und es kann an Dir vorüber gehen, selbst wenn Du schwerer Raucher und 70 bist. Den Meisten in unserer Gruppe geht es unverändert gut. Mir ist etwas schwummrig, den weiblichen Teil des holländischen Pärchens hat es vollkommen umgehauen. Sie wird noch vor dem Abendessen ins Bett gebracht, ihr Freund gibt ihr eine Tablette, sie kotzt. Und damit erwischt es genau die Person, von der man es eigentlich am Wenigsten gedacht hätte. Denn sportlich war die echt topfit. Aber sie scheint anfällig dafür zu sein, erzählt ihr Freund. Vor einem Jahr seien sie zusammen auf den Kilimandscharo gestiegen und sie hätte die selben Probleme gehabt. Konditionell kein Thema. Der Aufstieg hat ihr überhaupt nichts ausgemacht. Aber abends hat sie die Höhe nieder gestreckt. Und am nächsten Tag ist sie munter aufgestanden und weiter marschiert. Und das tat sie auch diesmal. Ob’s an den Tabletten lag, daran, dass sie früh und ausreichend schlafen ging oder an den Koka-Blättern, die sie von unserem bolivianischen Tour-Führer verabreicht bekam, bleibt ungeklärt. Ist aber auch egal.

Mir ist weiter schwummrig, aber ich setze mich mit den anderen an einen Tisch. Wir wollen Karten spielen und uns noch ein wenig unterhalten. Einer hat Bier mitgebracht und die Dosen stehen jetzt auf dem Tisch. Ob ich auch eines möchte? Ich zögere. Ein Holländer erklärt mir, dass ich Deutscher sei und ein Bier nicht ablehnen könne. Ich sehe mich an meiner Ehre gepackt und öffne die Dose. Nach einer Dreiviertelstunde habe ich ungefähr die Hälfte der Dose geleert und fühle mich, wie wenn ich ein ganzes Fass getrunken hätte. Ein Fass, in dem dazu noch drei Schlaftabletten aufgelöst wurden. Ich murmele und lalle, dass mir Höhe und Bier wohl doch nicht so gut tun und verabschiede mich ins Bett. Als ich vom Tisch aufstehe, trifft es mich umso härter. Wie wenn mir ein unsichtbarer Goliath volles Mett eine mitten ins Hirn zimmert. Es haut mich einfach um. Allerdings irgendwie nur mental. Körperlich schaffe ich es irgendwie noch, in mein Zimmer zu laufen, mich auszuziehen und mich in meinen Schlafsack zu mummeln. Ich bekomme es sogar hin, noch drei Decken auf meinen Schlafsack zu legen, weil es nachts ja bestimmt kalt werden würde. Aber das alles passiert wie in Trance. Und ich bin sehr froh, als ich endlich liege, die Augen zumachen kann und sofort komplett abgeschaltet bin.

Es ist gerade in großer Höhe wichtig, viel zu trinken. Weil mir bewusst war, dass ich meinem Körper maximale Strapazen zumute, halte ich mich an diesen Rat. Schließlich bin ich gerade innerhalb von 48 Stunden von 0 Meter überm Meeresspiegel auf 4.800 geklettert. Das ist schon eine ganze Menge. Darum habe ich auch drei Fünf-Liter-Container Wasser dabei. Den ersten habe ich am ersten Tag schon fast gänzlich geleert. Und das macht sich bemerkbar in einem Moment, in dem das gar keinen Spaß macht. Nämlich als ich um 2.00 Uhr nachts aufwache und aufs Klo muss. Ich liege in meinem Schlafsack, auf mir und dem Schlafsack liegen drei dicke Wolldecken. Mein Kopf ist eingewickelt in die Kapuze meiner Fleece-Jacke und die wiederum in das Kopfteil meines Schlafsacks. So richtig gucken also nur meine Nase und mein Mund aus dem Teil raus. Und aus beidem bildet mein Atem sofort dicke Dampfschwaden. Ich weiß, wie unglaublich saukalt es überall da ist, wo nichts bedeckt ist. Und ich weiß, dass ich da nicht raus will. Dass ich einfach hier liegen bleiben will. Nicht bewegen. Nichts von meiner gemütlichen Wärme aufgeben. Einfach vergessen, dass ich pinkeln muss. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Aber meine Blase sagt Nein. Meine Blase sagt, dass sie das nicht mit sich machen lässt. Und dass ich mich gefälligst aufraffen und aufs Klo gehen soll.

Wir kämpfen ungefähr eine halbe Stunde miteinander, meine Blase und ich. Erst, als sie drastisch wird und mir androht, dass sie sich auch einfach hier in den Schlafsack entleeren kann, gebe ich nach. Ich glaube, die fatalistische Überwindung, die in diesem Moment nötig ist, um aufzustehen, ist mit dem Gefühl kurz vor einem Bungee-Sprung oder dem Laufen über glühende Kohlen vergleichbar. Man weiß, dass es gleich schlimm wird, aber man kann nichts dagegen tun, man muss da jetzt irgendwie durch. Vielleicht auch ein bisschen wie beim Zahnarzt. Also Zähne zusammen beißen und raus. Bibbernd, aber zielstrebig, marschiere ich den Gang nach unten, verrichte mein Geschäft und renne zurück in meinen Schlafsack. Ich habe mir sogar noch die Hände gewaschen! Ganz pflichtbewusst. Der Vorgang hat wahrscheinlich nur 0,2 Millisekunden gedauert und das eisekalte Wasser hat mir meine Finger beinahe erstarren lassen, aber das musste sein. Mein Schlafsack ist immer noch ein ganz kleines bisschen warm. Und es fühlt sich so gut an, zurück zu sein. Erleichtert. Die Sekunden und Minuten dazwischen allerdings waren die Hölle. Und trotzdem muss ich wieder lächeln, als ich mich komplett eingemummelt habe und die Dampfschwaden sehe, die aus Nase und Mund kriechen. Irgendwie ist es halt dann doch ein geiles Gefühl, so ein kleines Abenteuer zu machen.

Als wir uns am nächsten Morgen (übrigens alle topfit!) aufmachen, weiter zu reisen, sehen wir, wie Felix kopfüber im Motorraum unseres Jeeps hängt.

Kein Bild, das man 4.800 Meter über dem Meeresspiegel weit fernab jeglicher Zivilisation (außer dieser Herberge) gerne sehen möchte.
Kein Bild, das man 4.800 Meter über dem Meeresspiegel weit fernab jeglicher Zivilisation gerne sehen möchte. Und ich meine damit nicht Ralf.

Auf unsere Frage, was kaputt sei, sagt er „no, nothing broken, everything fine!“ und strahlt uns an und reckt den Daumen in die Höhe. Danach verschwindet er wieder im Motorraum und flucht. Nach ein paar Minuten klappt er dann den Deckel runter, grinst uns wieder an und sagt, dass wir losfahren können. Was wir auch tun. Und weiter geht’s mit unwirklichen Landschaften, endlosen Weiten, Wüste, Bergen, Seen, heißen Quellen, Geysiren und bunten Felsen. Die irgendwie mit jedem Tag vertrauter werden. Aber trotzdem so krass anders sind als alles was man kennt. Wir kommen an einer Felsformation vorbei, die aus einigen heißen Quellen besteht. Überall steigt Dampf auf und die Felsen haben sich in allen möglichen Farben verfärbt. Da liegen blaue, rote, grüne, gelbe, orangene, metallisch schimmernde, silbrige Brocken rum – es sieht aus, wie wenn ein Aquarell-Maler seinen Farbkasten versehentlich auf die Steine hat fallen lassen. Mein Unterkiefer erliegt der Schwerkraft, mein Mund steht offen und statt meine Kamera zu zücken, genieße ich einfach den Anblick. Und denke, dass wir jetzt eh jeden Moment anhalten und von Felix aus dem Auto gescheucht werden, um zwanzig Minuten Fotos machen zu dürfen. Stattdessen fährt er einfach weiter und eine Minute später sind die Felsen verschwunden. Und alles was mir bleibt, ist das Bild in meinem Kopf. Cool für mich, schade für Euch. Aber so ist es eben manchmal.

Später am Tag beginnt die Wüste um uns, immer heller zu werden. Bis sie schließlich fast weiß ist. Aber nicht ganz, eher gräulich. Mit einer Straße in der Mitte. Ein bisschen wie Schnee in der Großstadt.

Ein Dreckstreifen mitten in der Salzwüste.

Hier und da haben sich Pfützen auf der grau-weißen Ebene gebildet. In diesen Pfützen spiegelt sich in der Nähe der umliegende weiße Boden. In der Ferne spiegeln sich die weit entfernten Berge und bilden einen wirklich surrealistischen Horizont.

Hier wurde mir klar, wie so eine Wüste so was wie eine Fata Morgana produzieren kann.
Hier wurde mir klar, wie so eine Wüste so was wie eine Fata Morgana produzieren kann.

So geht das ungefähr zehn, vielleicht auch fünfzehn Minuten. Dann wird der gräulich-weiße Untergrund immer weißer bis er schließlich schneeweiß ist. Nein, das ist untertrieben. Hellweiß, blendend weiß, Dr-Best-Zähne-weiß. Und er ist auf einmal überall. Überall ist nur noch weiß. Egal, in welche Richtung man schaut. Alles ist weiß. Irgendwo weit weit weg am Horizont sieht man noch ein paar Berge. Noch. Nach ein paar Minuten sind auch die verschwunden und es ist alles weiß. Bis es irgendwann in weiter Ferne, da, wo der Himmel anfängt, blau wird. Das ist sie also, die Salzwüste von Uyuni. Der Ort, an dem man trickreiche Bilder mit Perspektive machen kann, wenn man’s drauf hat.

Ralf ist halt einfach der Größte!
Ralf ist halt einfach der Größte!
Weiß. Und endlos.
Weiß. Und endlos.

Nach der Salzwüste ging’s dann auch noch in die Stadt. Vorher aber stand als letzte Station vor der Ankunft in Uyuni der „Cementerio de trenes“ auf dem Programm. Der Begriff fiel schon auf der Fahrt mehrfach und ich hatte mir nie großartige Gedanken darüber gemacht. Ich dachte an eine Art Kopfbahnhof oder so was. Hatte aber nie damit gerechnet, dass damit ein echter Friedhof gemeint sein könnte. Aber es war einer. Ein Friedhof für Züge. Ein Ort, an den alte, ausgediente Züge zum Sterben geschickt wurden. Und da standen sie nun. In der prallen bolivianischen Sonne. Nachts bei Minusgraden. Und rosteten vor sich hin. Majestätische, metallene Rost-Skelette. Ein morbider, aber wunderschöner Anblick.

Yippieh! Tote Züge!
Yippieh! Tote Züge!

Nach ein paar Stunden Aufenthalt in Uyuni steht dann die Rückreise Richtung Chile an. Allerdings nicht, ohne vorher noch einmal die Leute aus dem anderen Jeep zu treffen. Die hatten wir beim Zugfriedhof nicht getroffen, fiel mir jetzt auf. Und sie erklären mir wieso. Wir unterhalten uns über eine Polizeikontrolle und ich erinnere mich, dass wir vor dem Friedhof kurz an einem Motorrad gehalten hatten. Neben dem Motorrad stand ein Polizist, der die Papiere von Felix sehen wollte und uns nach ein paar kritischen Blicken durchgewunken hat. Bei den anderen war das anscheinend nicht so einfach. Ich bekomme erzählt, dass bei ihrem Jeep schon weit vorher Probleme mit den Bremsen aufgetaucht seien. Anscheinend war nicht mehr genug Bremsflüssigkeit drin gewesen. Der Fahrer hat dann einfach Cola in die Bremsanlage gekippt. Das hat anscheinend nicht so gut funktioniert wie gedacht. Auf jeden Fall müssen sie wohl an dem Polizisten vorbei gerauscht sein, der Fahrer hat das Fenster herunter gekurbelt und aus dem Fenster gerufen, dass die Bremsen nicht funktionieren. Die waren also froh, irgendwie lebend in Uyuni angekommen zu sein. Für den Zugfriedhof war da kein Platz mehr. Schade. Aber irgendwie auch ne coole Geschichte.

Bei der Rückfahrt nach San Pedro sitzen nur noch das holländische Pärchen, Felix und ich im Jeep. Die anderen reisen eigenständig in andere Richtungen weiter. Bei der Rückfahrt erfahre ich, dass die beiden seit Jahren zusammen sind und beide als Hirnchirurgen arbeiten. Wir übernachten in einem kleinen Dorf und halten vor einer großen Mauer, die aussieht, wie ein in die Jahre gekommenes Gefängnis. Keine Fenster, heraus gebrochene Türen und ein großes Metalltor, das den Eingang versperrt. Felix versucht, Kontakt herzustellen, aber keiner öffnet. Also fahren wir weiter durchs Dorf und finden in der hereinbrechenden Dunkelheit tatsächlich ein kleines Häuschen, in dem wir uns zimmertechnisch versorgen lassen können. Ralf (der männliche Part des holländischen Pärchens) und ich beschließen, noch ein paar Minuten vor die Tür zu gehen und erklimmen einen kleinen Hügel am Stadtrand. Und in dem Moment, in dem wir auf diesem Hügel stehen, offenbart sich einer der faszinierendsten Sonnenuntergänge, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Für ein paar Minuten. Dann ist er wieder weg.

Das Foto gibt nur ansatzweise die satten Farben wieder, die ich in diesem Moment sehen durfte.
Das Foto gibt nur ansatzweise die satten Farben wieder, die ich in diesem Moment erleben durfte.

Wir kommen am nächsten Abend zum Abendessen in San Pedro an. Für den Tag danach habe ich einen Flieger nach Santiago gebucht. Blöderweise entdecke ich in San Pedro noch zwei Dinge, die ich gerne machen möchte. Zum einen Sterne gucken mit einem Astronomen vor Ort. Zum anderen die Geysir-Tour, die natürlich um 4.30 Uhr in der Früh startet. Und Sterne gucken ist spätabends. Ich beschließe, kurz zwei Stunden zu schlafen, dann um 22.00 Uhr zum Sterne gucken zu gehen, danach noch mal zwei Stunden zu schlafen, um dann um 4.00 Uhr fit für die Geysire zu sein. Und ich schaffe es tatsächlich, alles mitzuerleben. Und es lohnt sich tatsächlich. Ich habe die Stürme auf der Oberfläche des Jupiter gesehen (wenn auch nur schemenhaft), den Mars recht deutlich, die Mondkrater noch deutlicher.

Durch ein Teleskop zu fotografieren ist schwerer als man denkt. Für dieses fragmenthafte Bild wurde ich noch echt abgefeiert. Im Teleskop selbst konnte man natürlich den ganzen Mond erkennen.
Durch ein Teleskop zu fotografieren ist schwerer als man denkt. Für dieses fragmenthafte Bild wurde ich noch echt abgefeiert. Im Teleskop selbst konnte man natürlich den ganzen Mond erkennen.

Und die Ringe des Saturn. In echt. Die Ringe. Des wirklich echten Saturn. Der 1,4 Milliarden Kilometer von uns entfernt ist. Durch ein Teleskop. Nicht auf irgendeinem Computer-Bild. 1,4 Milliarden Kilometer! Das ist 35.000 Mal um die Erde rum. Oder mehr als eine Million Mal von Hamburg nach München und zurück fahren. Das Licht, das ich durch dieses Teleskop gesehen habe, war 77 Minuten lang unterwegs, bis es mein Auge erreicht hat. Das ist so unvorstellbar. Und so toll.

Und auch die Geysir-Tour ist toll. Wenn auch mit einigem Unbill behaftet. Natürlich ist es morgens um 4.30 Uhr bitterkalt. Ich bin dickst eingepackt in alle möglichen Schichten (denn später würde es ja auch wieder wärmer werden – also flexibel kleiden!). Und wenn man sich so dick eingepackt bewegt, dann bleibt man ja auch warm. Wieso? Weil wärmende Kleidung so funktioniert, dass sie die Körperwärme einfängt, nicht raus lässt, quasi zurück strahlt. Produziert der Körper also Wärme, wird man gleich doppelt gewärmt. Von innen und von „außen“, also von der Innenseite der Kleidung. So lange man im Bus sitzt, ist einem allerdings kalt. Es sei denn, der Bus ist beheizt. Wovon man ja üblicherweise ausgehen würde bei den modernen Dingern, mit denen die uns da rumkutschiert haben. Die Lüftung läuft auch – allerdings auf Klimaanlagen-Modus und diese im Maximum. Als ich bei einem Pausenhalt nach vorne zum Busfahrer gehe, sehe ich, dass die Klimaanlage auf 14 Grad eingestellt ist. 14 GRAD!!! Mit meiner entsprechenden Übermüdung bekomme ich nur ein geknurrtes „Wieso müsst Ihr Südamerikaner Eure Klimaanlagen immer auf Nordpol stellen? Um allen zu zeigen, wie stark sie ist?“. Die Antwort hätte mich nicht mehr verblüffen können: „Öhm…nein…weil es draußen kalt ist, müssen wir die Temperatur im Bus angleichen, damit sich Euer Körper dran gewöhnt“. In einer Blitzsekunde schießt mir das Bedürfnis durch den Kopf, diesen Bullshit zu widerlegen. Dann aber gewinnen Müdigkeit, Resignation und Fassungslosigkeit die Oberhand und ich steige einfach wortlos aus. Und lasse mich von der beeindruckenden Urgewalt der Geysire beeindrucken. Die so erleben zu können ist übrigens der Grund für den frühen Aufbruch. Die Touren wollen am Geysirfeld sein, wenn die Nacht am Kältesten ist. Und das ist sie immer kurz vor Anbruch der Dämmerung. Und wenn es richtig klirrend kalt ist, dann machen die Geysire am meisten Dampf. Und das sieht dann so beeindruckend aus wie auf dem Foto.

Okay, kurz vor Sonnenuntergang war das noch mal ne Nummer imposanter.
Okay, kurz vor Sonnenaufgang war das noch mal ne Nummer imposanter. Aber da war’s halt auch dunkel. Und im Dunkeln ist schwer mit Fotos machen.

Am frühen Nachmittag geht’s dann zurück nach Santiago. Und Valparaiso. Und dann nach Neuseeland. Was dort passiert, erfahrt ihr in einer anderen Geschichte.

Für diese Geschichte bleibt festzuhalten, dass ich das erste Mal vollständig nach Bauchgefühl entschieden habe. Dass mein Bauch immer ein wenig traurig war, dass Uyuni eigentlich von Anfang an nicht im Plan war. Und dann um so glücklicher, als der Zufall (oder das Schicksal?) es wieder auf den Plan gesetzt hat. Es verbleibt die Lehre, dass das Leben einem immer wieder viele, unzählige kleine Gelegenheiten bietet, eben jenes Leben wunderschön zu gestalten. Was wir lernen müssen, ist, diese Gelegenheiten zu erkennen und im richtigen Moment unser Herz so zu öffnen, dass wir diese Momente auch mit vollem Bewusstsein erleben können. Alleine diesen Zustand einmal erleben zu dürfen, ist ein großes Geschenk. Dann so beschenkt zu werden, wie in diesen vier Tagen, ist unbezahlbar. Wie so vieles auf dieser Reise.

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