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Von Krokodilen und Eseln und Elefanten

Wer sich Anfang März in den brasilianischen Dschungel im Pantanal aufmacht, der muss mit vielen Tieren rechnen: Krokodilen, Capybaras, Papageien, Ottern und Piranhas. Alles gesehen und genossen. Weniger genossen: das Zusammentreffen mit der am häufigsten angetroffenen Tierart: Moskitos. Mit der kann man aber rechnen. Der Grund, warum ich hier überhaupt hinfahren konnte: Esel! Was ich mitgenommen habe: einen Elefanten!

Von Krokodilen und Eseln und Elefanten – jetzt hier lesen!

Am 1. März diesen Jahres war es endlich soweit. Ich durfte, ich konnte, ich wollte den Flieger besteigen und auf die wahrscheinlich größte Reise meines Lebens gehen. Zu verdanken hatte ich das den Handlungen einiger Menschen, denen ich mich nicht zum Dank verpflichtet fühle. Ohne zu viel zu verraten: man versuchte, mich über den Tisch zu ziehen. Stellte sich dabei aber wie ein Esel an und wurde letztlich von mir über eben jenen gezogen. Was dazu führte, dass ich plötzlich mit vier Monaten Freizeit und einem Sack voll Geld da stand und sofort wusste: das kommt nie wieder! Raus hier! Ab in die Welt!

Es würde die erste große Reise sein, die ich ganz alleine angehen würde. Als ich 2005 für drei Monate durch Europa reiste, hatte ich meinen besten Freund dabei. Und als ich vor zwei Jahren für ein paar Wochen durch Thailand und Kambodscha marschierte, war ich ebenfalls nicht allein. Denn an meiner Seite hatte ich mit Andi einen guten Freund und mit Fred einen Begleiter, den ich nie mehr alleine lassen wollte. Inspiriert vom Film „Die fabelhafte Welt der Amelie“ hatte ich mir einen Reisekompagnon zugelegt, den ich vor all den tollen Dingen fotografieren wollte, die ich so auf meinen Reisen so sehen werde. Und mein Gedanke war, dass ich irgendwann meinen Kindern davon erzähle. Und dass sie den kleinen Elefanten in die Hand nehmen können. Und durch die Bilder und durch ihn erleben, wie groß und wie wundervoll die Welt ist.

Es war klar, dass ich irgendeinen Reisekompagnon mitnehmen werde. Gefunden habe ich ihn an einem der unromantischsten Orte überhaupt – bei IKEA.

Meine beiden Lieblings-Elefanten: Franz Ferdinand und Fred
Meine beiden Lieblings-Elefanten: Franz Ferdinand und Fred

 

Dort nämlich schaute er mich aus einer großen Metallschütte heraus an und ich war sofort verliebt. Man konnte ihn aber nur im Gepäck mit seinem Vater mitnehmen. Das sollte nicht weiter stören. Der Vater konnte einfach in meinem Schrank sitzen und auf seinen Sohn warten. Und wenn der Kleine dann zurück war, dann setzte ich ihn daneben und er konnte seinem Vater erzählen, was er alles erlebt hatte. Die Vorstellung gefiel mir und die beiden kamen mit. Die Namen waren auch recht schnell klar. Ohne jeden Hintergrund. Der Kleine sollte „Fred“ heißen. Mit langem e. Und der große war Franz Ferdinand.

Fred hatte seinem Vater in den letzten zwei Jahren ganz schön viel zu erzählen. Er hatte nämlich jede Menge zusammen mit Andi und mir erlebt. Ein paar Ausschnitte davon gibt es unten in der Galerie.

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Ein wahrer Hedonist weiß genau, was man für eine vernünftige Nacht auf Koh Samui braucht.

Aber viel spannender für Fred war, dass es jetzt auf die nächste Reise gehen würde. Auf diese riesige Reise. Einmal um die Welt. Und davor verabschiedete er sich von Franz Ferdinand. Denn auch der würde seinen Wohnort wechseln. Er zog pünktlich mit der Abreise von Fred zu meinem damals einjährigen Neffen. Und wenn er wieder kommen würde – das versprach er ganz fest – würde er meinem Neffen und seinem Franz-Ferdinand-Vater alles erzählen, was er so erlebt hatte.

Bei dieser Reise also war Fred mein einziger Begleiter. Ansonsten würde ich alles hinter mir lassen. Und lustigerweise wurde mir das erst kurz vor dem Abflug so richtig bewusst. Sechs Wochen zuvor hatte ich mich mit meinem ehemaligen Arbeitgeber auf einen Auflösungsvertrag geeinigt. Und von da an stand ich im Dauerstress. Neues Arbeitsverhältnis ab 1. Juli fixieren! Reiseziele festlegen! Flüge buchen! Wohnung untervermieten! Dass dabei nicht alles zu 100% perfekt lief, ist wohl vollkommen klar. Das wird sich auch später in der einen oder anderen Geschichte noch rächen. Dass ich auf der anderen Seite nicht alles komplett durchplanen wollte, ist wohl auch klar. Ein bisschen Freiraum muss auf so einer Reise sein. Sonst dreht man wahrscheinlich durch.

Und dann kam dieser Moment. Dieser 1. März. An dem ich tagsüber noch bei Globetrotter war und die letzten Einkäufe getätigt hatte. Einen Rucksack und einen Schlafsack. Und dann packte ich und dann brachte ich die letzten Kartons in den Keller und dann übergab ich meinen Schlüssel an meinen Untermieter und plötzlich saß ich am Flughafen. Und nachdem ich eingecheckt hatte, stellte ich fest, dass es jetzt wirklich losgeht. Und dass ich plötzlich ganz allein war. Dass Fred über die nächsten drei Monate tatsächlich mein einziger Begleiter sein würde. Dass ich meine Freunde, meine Eltern, alle vertrauten Dinge für drei Monate nicht sehen würde. Dass es kein Zurück geben würde – auch wenn es mir nicht gefällt. Denn meine Wohnung war besetzt. In diesem Moment hatte ich Angst. Und zwar richtig. Ich saß am Gate und starrte vor mich hin. War sprachlos. Und sagte mir, dass es unsinnig ist, sich jetzt so zu fühlen. Dass ich vor der größten Freiheit meines Lebens stehe. Dass ich wahnsinnig tolle Sachen sehen und erleben werde. Und dass ich mich darauf gefälligst freuen sollte.

Trotzdem dauerte es bis zum Abflug, bis ich mich vernünftig gesammelt hatte. Aber als meine Maschine ihre Räder von der Startbahn in Hamburg hob, musste ich grinsen. Und konnte bis Sao Paulo fast nicht mehr aufhören. Jetzt ging es wirklich los. Und plötzlich war ich aufgeregt wie ein Kleinkind. Neugierig auf alles, was um mich herum passierte. Wollte alles sehen, alles entdecken, alles aufnehmen und fühlen. Und freute mich auf jede noch so kleine Sensation, die sich mir in den Weg stellte. Und ich schwor mir, dieses Gefühl durch die ganze Reise zu behalten. Zu fühlen und zu erleben mit der Neugier und Begeisterungsfähigkeit eines Kleinkindes. Und wann immer ich mich schlecht fühlen sollte, würde ich Fred anschauen und mich daran erinnern, dass es die kleinen Dinge des Lebens sind, die einen so glücklich machen können. Wie mein kleiner Neffe zuhause, dem ich eines Tages von all diesen Dingen erzählen würde. Zusammen mit Fred. Ein toller Gedanke!

Up, up and away: wo ich hin fliege, fliegt Fred mit!
Up, up and away: wo ich hin fliege, fliegt Fred mit!

Der erste Reisetag soll mich direkt zu meinem ersten Ziel bringen: zur Wildnis im Pantanal. Im Landesinneren von Brasilien. Zu diesem Zweck lande ich am Morgen in Sao Paolo. Und habe für den Abend bereits meinen Weiterflug nach Campo Grande gebucht. Mir bleibt also ein voller Tag, um mir diese riesige Metropole anzuschauen. Vollkommen klar, dass man sie dabei nur anreißen können wird. Und mit nicht viel mehr Erwartung lande ich dann auch dort. Schnell das Gepäck direkt für den Abend eingecheckt und ab in die Stadt.

Ich fahre einfach in die Mitte der Stadt und suche dort eine Touristen-Information. Das geht erstaunlich schnell (wahrscheinlich auch, weil ich dank LonelyPlanet weiß, wo ich hin muss). Dort lasse ich mich mit den Infos versorgen, was ich mir alles anschauen soll. Auf jeden Fall wird mir das Fußball-Museum ans Herz gelegt. Natürlich. Als Riesen-Fußball-Fan muss das natürlich mein erstes Ziel im Land des Fußballs sein. Also wieso nicht. Ich soll einfach den Bus an der Hauptstraße unten nehmen. Sie schreibt mir die Nummer des Busses und sein Fahrziel auf. Den Rest würde ich dann schon finden.

Es dauert leider etwas, bis ich die Haltestelle identifizieren kann. Das schließlich funktioniert auch nur, indem ich die Straße hoch und runter laufe und irgendwann feststelle, dass sich ein paar Menschen an einem Punkt sammeln. Wieso sie das tun, kann ich nicht ausmachen. Aber ich vermute, dass sie ebenfalls auf den Bus warten.

Als ich sie in meinem radebrechenden Spanisch frage, ob das die Haltestelle sei, verneinen sie. Aber eine alte Frau führt mich nach einer endlos dauernden Unterhaltung zur Haltestelle. Woran sie sehen würde, dass dies die Haltestelle sei, kann sie mir nicht sagen. Und ich habe auch nicht die leiseste Ahnung. Aber sie hat Recht. Der Bus kommt und ich finde meinen Weg zum Fußball-Museum.

Das also ist die Bushaltestelle. Woran man das erkennt...bin ich überfragt!
Das also ist die Bushaltestelle. Woran man das erkennt…bin ich überfragt!

Das Museum selbst: ein netter Zeitvertreib. Mit viel Historischem aus dem brasilianischen Fußball. Aber definitiv nichts, worüber man sich auf dem Sterbebett ärgern muss, falls man es verpasst haben sollte.

Weitaus interessanter sind die jungen Brasilianer, die mir auffallen, als ich das Museum verlasse. Die den Parkplatz nutzen, um ihre ferngesteuerten Renner über die Straße rasen zu lassen. Und die erreichen dabei eine Geschwindigkeit, die echten Rennern in nichts nach steht. Ich setze mich für einen Moment an den Straßenrand und beobachte sie beim Spielen. Und überlege, ob ich mal fragen soll, ob sie Fred für eine Runde mitnehmen. Entscheide mich aber dann doch dagegen. Wahrscheinlich, weil ich meine Spanisch-Qualitäten realistisch einschätze und mir nicht sicher bin, ob ich rüber bringen kann, was ich meine. Und diese Jungs sehen auch nicht so aus, als sollte man ihnen irgendeinen falschen Eindruck vermitteln.

Ich laufe also ein bisschen durch Sao Paulo und schaue mir die Stadt ein. Was mir auffällt: hohe Mauern und Elektrozäune. Das bestätigt den Eindruck, dass sich die Reichen hier noch mehr absichern als anderswo. Und dass es eine sichtbare und spürbare Abgrenzung gibt. Die Mauern sind mit Graffiti besprüht. Ein weiteres Zeichen dafür, dass hier verschiedene Welten aufeinander prallen. Die durch Steine und Elektrizität auseinander gehalten werden.

Die Grenze zwischen arm und reich sind manchmal ein paar Steine, Strom und Farbe
Die Grenze zwischen arm und reich sind manchmal ein paar Steine, Strom und Farbe

 

Nach einem gefühlten Fünf-Kilometer-Marsch in der Mittagssonne von Sao Paulo komme ich an meinem nächsten Ziel an: der Avenida Paulista. Dort entdecke ich etwas, was mir gefällt. Ein Fahrstreifen dieser belebten Verkehrsader ist gesperrt. Um Leute vom Radfahren zu überzeugen. An einem Ende der Straße werden kostenlos Fahrräder ausgegeben, um den Leuten zu zeigen, wie viel Spaß es machen kann, sich mal auf zwei Rädern zu bewegen. Und eben diesen exklusiven Fahrstreifen in der Mitte der Paulista zu nutzen. Zwar nur am Sonntag. Aber immerhin.

Fahrradfahrer / Sonntagsfahrer auf der Avenida Paulista
Fahrradfahrer / Sonntagsfahrer auf der Avenida Paulista

Einen Kilometer die Straße runter fällt mir eine Menschenansammlung auf. Und in ihrer Mitte der Grund dafür, wieso sie alle stehen bleiben. Ein Elvis-Imitator, der das Ganze echt ziemlich gut macht. Realistisch aussieht. Eine Musikbox dabei hat, die die Hintergrund-Mucke liefert und ein Mikro über das er seine Stimme drauf legt. Und tanzt wie der King höchstpersönlich. Auf einem Las-Vegas-Quadratmuster-Teppich.

Elvis auf der Paulista!
Elvis auf der Paulista!

Aber vor allem zwischen den Leuten. Die begeistert sind. Und fast austicken, als er anfängt, vorbei fahrenden Autos in die Fenster zu singen. Und sich nicht mehr einkriegen, als er mit dem Mikro in der Hand in den Bus einsteigt und den Fahrer auf Knien antanzt.

Genau hinschauen: da drin, hinter der Tür, tanzt er rum!
Genau hinschauen: da drin, hinter der Tür, tanzt er rum!

Mein Weg führt mich weiter zur Catedral de Sé. Eine beeindruckende Kirche, ein beeindruckender Platz. Aber am Beeindruckendsten: die Detail-Treue der Brasilianer, die hier selbst ihre Ampelmännchen passend gestaltet haben.

Ampelmännchen gegenüber der Catedral de Sé
Ampelmännchen gegenüber der Catedral de Sé

Als ich um die Catedral herum laufe, um sie von allen Seiten zu betrachten, fällt mir noch etwas Weiteres auf. Direkt auf der anderen Straßenseite stehen zahlreiche Prostituierte. Am Nachmittag. Nur eine Straße entfernt von der Kathedrale. Im katholischen Brasilien. So krass habe ich Bigotterie bisher noch nicht erlebt. Sie aber natürlich aus Respekt nicht im Bild festgehalten.

Mein Tag in Sao Paulo neigt sich seinem Ende zu, aber an Schlaf ist noch nicht zu denken. Vor mir liegen drei Flüge quer durchs Land. Erst von Sao Paulo nach Cuiaba. Von dort dann nach Brasilia und von dort wiederum nach Campo Grande. Man hätte das Ganze auch direkt machen können; das wäre aber dreimal so teuer gewesen. Also nehme ich mehr Zeit und mehr Starts und Landungen in Kauf und zahle weniger. Erlebe dabei grandiose Gewitterwolken, die sich neben unserem Flugzeug auftürmen und ein Gewitter beim Anflug auf Brasilia, das mir Schauer der Faszination und der Angst gleichzeitig über den Rücken jagt.

Sieht friedlich aus, aber drinnen krachts gewaltig. Das erste Mal, dass ich Blitze vom Flugzeug aus gesehen habe.
Sieht friedlich aus, aber drinnen krachts gewaltig. Das erste Mal, dass ich Blitze vom Flugzeug aus gesehen habe.

Dann beim Abflug aus Brasilia eine Laserpointer-Attacke aus den Häusern unter uns. Die aber glücklicherweise folgenlos bleibt. Bis auf ein kurzzeitig verstörtes Gefühl in meinem durchs Fenster getroffenen Auge. Und schließlich die Ankunft in Campo Grande am späten Abend, wo ich direkt von meinem Hostel-Menschen abgeholt werde. Im Shuttle zum Hostel treffe ich auf zwei andere Deutsche, die dasselbe Ziel haben: das Pantanal erkunden. Tiere sehen!

Unser Hostel-Typ im Hostel Campo Grande – Rodrigo – lädt uns noch in der Nacht ein, ein paar Bier mit ihm zu trinken. Man merkt ihm sofort an, dass er ein Verkäufer ist. Die Art, wie er fragt, aber trotzdem nichts wissen will. Die Witze, bei denen man sofort merkt, dass man der 5.746te ist, der sie abbekommt. Und die Professionalität, die ihn immer wieder geschickt ein paar Vorzüge seiner Touren einstreuen lässt. Trotzdem nicht unsympathisch.

Das Hostel hat im Web sehr gemischte Bewertungen bekommen – mein persönlicher Eindruck ist in Ordnung. Von Bettwanzen bleibe ich – nach ausführlicher Kontrolle meiner Schlafgelegenheit – glücklicherweise verschont. Am nächsten Morgen verhandle ich mit Rodrigo über eine Tour und einen anschließenden Transport nach Foz de Iguacu. Er organisiert alles und rechnet einen Preis aus. Ich vergleiche den Preis anschließend im Internet und stelle fest, dass Rodrigos Angebot durchaus fair ist.

Beim Lesen der Bewertungen auf Hostelworld stellt man schnell fest, dass die Touren von Rodrigo oft enttäuschend waren. Ich verlange daher bei der Verhandlung, dass ich nur die Hälfte anzahle und den Rest erst am Ende abdrücke, wenn alles gut war. Er stimmt anstandslos zu. Und so kann es dann ein paar Stunden später losgehen. Die beiden anderen Deutschen schließen sich kurzerhand an.

Wir fahren mit einem VW Transporter (oder irgendeiner anderen Marke ähnlicher Bauweise…) erstmal ein paar Stunden in Richtung Landesinnere. Nach einer gefühlten Ewigkeit halten wir auf einem kleinen Parkplatz. Dort kommen nach kurzer Zeit ein paar Jeeps an. Von diesen klettern andere Reisende runter, mit denen wir uns kurz unterhalten. Danach werden die mit den Transportern zurück in die Zivilisation gebracht und wir auf die Jeeps verfrachtet. Jetzt geht’s also richtig los.

Fred ist einer von den ganz Coolen und sitzt hinten im Jeep
Fred ist einer von den ganz Coolen und sitzt hinten im Jeep

Die Reise ist faszinierend, weil die Landschaft so neu ist. Ansonsten aber eigentlich furchtbar langweilig, denn es geht über zwei Stunden einfach nur geradeaus. Wirklich. Nur geradeaus. Keine Kurve. Nichts. Einfach! Nur! Geradeaus!

Spannend wird es immer dann, wenn eine Brücke kommt (insgesamt gab es – glaube ich – 127 Brücken). Denn dann muss der Jeep bremsen und die Brücke langsam passieren. Und je tiefer wir in die „Wildnis“ fahren, desto mehr stellen wir fest, was uns hier neben Krokodilen, großen Nagetieren und außergewöhnlichen Vögeln am Ehesten erwarten wird: Moskitos!

So lange unser Jeep eine vernünftige Geschwindigkeit beibehält, sind die kleinen Nervtöter überhaupt kein Problem. Aber sobald er für eine Brücke bremsen muss und sich mit Schrittgeschwindigkeit drüber bewegt, bevölkern die Biester uns in Scharen. Und mit jeder Brücke, die weiter drinnen liegt, werden es mehr. Ganze Wolken. Die Berichte, die ich vorher über Moskitos im Pantanal gelesen hatte, waren nicht übertrieben. Solche Mengen habe ich noch nie erlebt.

Ein paar Mal mussten wir auch für ein paar Reiter die Geschwindigkeit drosseln. Langsam + Pferde = unglaublich viele Moskitos!!!!
Ein paar Mal mussten wir auch für ein paar Reiter die Geschwindigkeit drosseln. Langsam + Pferde = unglaublich viele Moskitos!!!!

 

Es ist also an der Zeit für mein Wundermittel: NOBITE. Die brutalste chemische Keule gegen Stechmücken, die es gibt. Sagt man so. Soll angeblich für das US-Militär in Vietnam entwickelt worden sein. Hat auf jeden Fall 50% DEET und damit mehr als zehnmal so viel wie viele andere Mittel. Ich sprühe mich also damit ein und die Wirkung ist phänomenal. Moskitos fliegen auf mich zu und drehen im Anflug wieder um. Hat sich die Investition also gelohnt.

Und dann fragen mich meine deutschen Gegenüber, was das sei, was ich mir da gerade aufgesprüht habe. Ich erzähle ihnen von meinem Wunderwissen über das Wundermittel und sie staunen. Ich frage, was sie denn dabei hätten und sie antworten: „oh, wir haben so was gar nicht dabei.“

Auf meinem Gesicht muss sich in diesem Moment ein riesiges „WTF!?!?“ ausgebreitet haben. Fürs erste allerdings nehmen sie es sportlich. Nach der zehnten Brücke und damit auch der zehnten Moskito-Schwarm-Attacke entscheiden sie sich, einfach ihre Pullover anzuziehen und die Viecher damit auf Distanz zu halten. Eine gute Idee, solange man in einem offenen Jeep sitzt und der Fahrtwind schön kühlend wirkt. Aber was machen die beiden morgen, wenn wir bei 35 Grad im Schatten durch den Dschungel laufen?

Na, hoffentlich habt ihr wenigstens ordentliches Deo mitgebracht, Kollegen ;)
Na, hoffentlich habt ihr wenigstens ordentliches Deo mitgebracht, Kollegen 😉

Kurz vor der Ankunft in unserer Unterkunft sammeln wir noch drei Mädels auf. Zwei Deutsche und eine Holländerin. Die mir jetzt schon leid tut. Denn selbst wenn fünf Deutsche alle möglichen guten Vorsätze haben, wird es sicher nicht ausbleiben, dass wir uns auf Deutsch unterhalten. Die beiden Mädels sind toll! Gut vorbereitet (ebenfalls mit NOBITE), gebildet, interessiert – und gut sehen sie auch noch aus. Ein Lichtblick! Das werden also doch sehr angenehme Tage hier im Pantanal!

Greta, Fred und Gretas Freundin, deren Namen ich vergessen habe
Greta, Fred und Gretas Freundin, deren Namen ich vergessen habe

 

In den nächsten Tagen unternehmen wir eine Menge Touren. Mal zu Fuß, mal mit dem Boot. Mal am Tag, mal in der Nacht. Die Augen von Krokodilen leuchten orange bis gelb in der Nacht, wenn man sie mit einer Taschenlampe anstrahlt. Auch aus der Entfernung. So haben wir einige Kaiman-Nester ausmachen können. Das war mitunter ganz schön gruslig. Was an der Verteidigungs-Strategie von Kaimanen bei Fluchtreflexen liegt. Dann nämlich verschwinden sie vom Land einfach ins Wasser. Da kann man sie nämlich nicht sehen (glauben sie). Wenn wir uns mit dem Boot also einem Kaiman an Land nähern, dann funktioniert das eine ganze Weile gut. Und irgendwann – plötzlich! – rennt der Kaiman dann ins Wasser (auf uns zu!), taucht unter das Boot, schwimmt drunter durch und taucht irgendwo hinter uns wieder auf. Also nur seine Augen. Die uns dann von hinten orange-gelb anstrahlen. Die ersten paar Mal ist das wirklich creepy! Vor allem nachts.

Kaiman am Tag. Haben wir auch zuhauf gesehen.
Kaiman am Tag. Haben wir auch zuhauf gesehen.

 

Auf unseren Touren über die Tage verteilt sehen wir noch eine Menge verschiedener Tiere. Das größte Nagetier der Welt beispielsweise: das (oder den?) Capybara. Der aussieht, wie ein zu groß geratenes Meerschweinchen, dem man ungünstigerweise das Hinterteil abgetrennt hat. Irgendwie das unförmigste und daher auch tollpatschigste Tier, das ich bisher gesehen habe. Süß sind sie trotzdem irgendwie. Oder vielleicht auch genau deswegen.

Capybara. Das beste Bild. Immer noch schlecht. Auf Wikipedia gibts bestimmt Bessere.
Capybara. Das beste Bild. Immer noch schlecht. Auf Wikipedia gibts bestimmt Bessere.

 

Toll sind auch jede Menge Vögel, die uns so über den Weg fliegen. Behalten kann ich leider keinen einzigen Namen. Was auch daran liegt, dass unser Wildnis-Führer (Nico) sich eher wortkarg gibt. Wir schippern für eine halbe Stunde durch die Gegend, ohne dass er etwas sagt. Dann steuern wir langsam auf einen Vogel zu, er zeigt mit dem Finger drauf, sagt seinen Namen (also den des Vogels) und schweigt dann wieder. Bis zum nächsten Vogel. Woran das liegt, werde ich später erfahren.

Eines der unzähligen Federviecher, die wir uns anschauen durften
Eines der unzähligen Federviecher, die wir uns anschauen durften

Erstmal erfreue ich mich an den endlosen Panoramen. An Wolkenformationen und Horizonten, die ich in dieser Größe bisher nirgendwo gesehen habe.

Unglaublich weit, unglaublich groß. Irgendwie scheint der Horizont hier mehr drauf zu haben als zuhause.
Unglaublich weit, unglaublich groß. Irgendwie scheint der Horizont hier mehr drauf zu haben als zuhause.

Auf einer Boots-Tour bringt uns Nico bei, wie man Piranhas fängt. Auch hierbei gibt er sich so wortkarg wie möglich. Irgendwann stoppt er das Boot und sagt „Now we fish piranha“. Dann holt er einen Eimer mit Aalen (oder ähnlichem) hoch, nimmt einen raus, zerschneidet ihn in Stücke und legt die vor sich hin. Dann gibt er jedem von uns eine provisorische Angel. Und ein Stück Köderfisch (eben Aal oder so – ich nenne ihn jetzt einfach Köderfisch). Dann zeigt er uns wie man den Köderfisch mit ein paar Handgriffen auf den Haken sticht und ab dafür.

Der eine der beiden Insektenschutzmittel-Helden hat offensichtlich Probleme damit, den Fisch auf seinen Haken zu bekommen. Und daraus entspinnt sich das bis dahin längste Gespräch mit Nico, das ich so erleben darf.

Typ: Can you help me with the fish?

Nico: Why?

Typ: I cannot put it on.

Nico: Why? Because you are not a man?

Daraufhin muss Nico kurz lachen. Es ist ein Lachen, das eher einem Hickser gleicht. Ganz kurz und fast verschämt und eigentlich nicht zu bemerken und sofort hat er wieder seine ausdruckslose, weltferne Miene aufgelegt. Aber in diesem kurzen Moment, in dem er über seinen eigenen, stumpfen, billigen, blöden Diss lachen muss und wenn es nur für eine halbe Sekunde ist, schließe ich ihn in mein Herz. „Der kann ja cool tun, wie er will – der ist genau so doof wie wir alle manchmal“, denke ich mir so bei mir. Und werde Recht behalten.

Unser erster selbst gefangener Piranha (in Nicos Hand)
Unser erster selbst gefangener Piranha (in Nicos Hand)

Es dauert nicht lange, bis wir die ersten Piranhas fangen. Nico nimmt sie sofort in Gewahrsam und schlägt sie hart auf die Planke im Boot. Dann zeigt er uns den vermeintlich toten Fisch. Und erklärt, dass er nicht tot sei („piranha not dead. Look!“). Dann schiebt er ihm einen dicken Stiel Seerose ins Maul, woraufhin der vermeintlich tote Fisch zubeißt und ein dickes Stück des Stiels abzwickt. Das hätte gut und gerne unser Finger sein können.

Nico zeigt uns jetzt, wie man den Piranha sicher tötet. Ich erkläre das jetzt nicht. Es ist sehr ekelhaft. Und wird im Ansatz durch das Bild unten dargestellt.

Der Piranha kurz vor seinem endgültigen Ende
Der Piranha kurz vor seinem endgültigen Ende

Am Abend – es ist der letzte Abend im Pantanal – sitze ich noch ein wenig in der Unterkunft und denke über die vergangenen Tage nach. Die anderen sind schon ins Bett gegangen. Auf einmal kommt Nico an meinen Tisch, stellt zwei Dosen Bier ab und schaut mich an. In meinem Kopf entsteht ein großes Fragezeichen, aber mein Gesicht freut sich und sagt Danke.

Nico sagt: „I think you are the only smart guy in this group. Wanna drink with me?“

Und dann erzählen wir uns voneinander. Ich. Und der Mann, der uns drei Tage durch den Dschungel geführt hat und dabei weniger gesagt hat als jetzt in der Minute, in der er mich auf ein Bier einlädt. Er erzählt von der Holländerin, die ihn vom ersten Moment an damit genervt hat, dass sie einen Tag früher abreisen möchte. Und er ihr erklärt hat, dass er gerne versuchen kann, Kontakt zum Tour-Vermittler herzustellen, er daran aber nichts ändern könne, weil er nur der Führer sei und einfach nur vom Vermittler gebucht würde. Sie das aber nicht akzeptiert habe und ihn recht schnell recht übel beleidigt habe. Mein Beileid dafür, dass wir in ihrer Gegenwart nicht immer Englisch untereinander gesprochen haben, verschwindet.

Und er erzählt von Leuten, die überhöhte Erwartungen an die Touren hätten. Jeder wolle den Jaguar sehen. Jeder komme hierher mit dem Ziel, dass er den Jaguar sehen müsse. Und dann wären sie so blöd und würden nicht mal Insektenschutzmittel mitbringen. Müssten sich mit Ästen den ganzen Tag auf dem Körper rumschlagen, damit die Moskitos sich nicht festsetzen. Und würden sich dann wundern, wenn der Jaguar nicht mal eben vorbei schauen würde. Weil die Viecher eben empfindlich auf Lärm reagieren. Und dann fasste er es genereller und sagte, dass die Leute immer riesige Erwartungen hätten, diese Erwartungen aber durch ihr eigenes Verhalten kaputt machten. Weil sie nicht nachdenken. Und überhaupt verschließen die Meisten die Augen vor der ganzen restlichen Schönheit, die diese Gegend mit sich bringt.

Ich höre fasziniert zu, stelle manchmal Nachfragen und lasse ihn ansonsten einfach reden.

Alle seien sie getrieben davon, etwas Besonderes zu erleben. Alle hätten sie ein Ziel und das müssten sie abhaken und dann könnten sie weiter rennen zum nächsten Ziel, das sie abhaken können. Und weil sie so beschäftigt damit seien, Dinge abzuhaken, haben sie überhaupt keine Zeit und kein Gefühl dafür, die wirklich schönen Dinge zu entdecken. Einfach mal stehen zu bleiben, an einer Blume zu riechen und das toll zu finden.

Er selbst sei genauso gewesen. Genauso getrieben. Damals als er ein Banker in Sao Paulo gewesen war. Als er immer nur den nächsten Profit wollte, den nächsten Bonus, die nächste schöne Frau im nächsten besten Club. Und irgendwann hat er dann umgedacht, sagt er. Und hat angefangen zu lesen. Internationale Literatur. Viel deutsche Literatur. Viel Hermann Hesse. Er liebt Hermann Hesse, sagt er. „Siddharta changed my life“, sagt er. Und in diesem Moment bin ich peinlich berührt. Und gerührt gleichzeitig. Dieser Typ, der hier vor mir sitzt. Dieser Typ, der vor ein paar Stunden mit einem riesigen Dolch ein paar Piranhas den Garaus gemacht hat, der sich mit diesem Teil durch die Bäume schlägt, bei 80 Sachen auf der Motorhaube eines fahrenden Jeeps liegt und der den ganzen Tag wirkt, wie wenn er gerade erst aus dem Urwald erwachsen wäre und sprechen gelernt hätte – dieser Typ hat wahrscheinlich mehr deutsche Literatur gelesen als ich.

„Siddharta changed my life“ (Nico)

Es ist irgendwie ein cooles und peinliches Gefühl zugleich. Ich entscheide mich dafür, fasziniert zu sein, notiere aber in meinem Kopf: „Siddharta lesen!“. Dann höre ich ihn sagen, dass er sich nach dieser Geschichte entschieden hat, in den Dschungel zu gehen. Und seinen Frieden hier zu finden. Es sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen.

Dann steige ich mit ihm in ein sehr langes Gespräch über das ein, was im Leben wirklich wichtig ist. Am Ende haben wir viele Dosen Bier geleert. Und nehmen uns zum Abschied in den Arm. Und ich bin baff. Baff, wie tief, wie vielfältig dieser Mensch ist. Und wie gut er das verheimlicht hat. Weil er keine Lust darauf hatte, sich mit den anderen auseinander zu setzen. Weil er für sich vor langer Zeit entschieden hat, dass er sich nur noch ganz selektiv öffnet. Und der Großteil seiner Öffnung der Natur gilt und der kleine restliche Teil nur ein paar wenigen ausgewählten Menschen. Ich bin sehr stolz, dass ich einer davon sein durfte.

Unsere Rückfahrt genießt Nico im prallen Fahrtwind
Unsere Rückfahrt genießt Nico im prallen Fahrtwind

Am nächsten Tag – dem Tag meines Abschieds – ist Nico wieder genauso, wie er vorher war. Still. In sich gekehrt. Spricht nur, wenn er absolut muss, weil er uns irgendwo ein Tier zeigt. Da es aber der letzte Tag ist, gibt es nicht so viel zu zeigen. Also hält er Abstand. Und spricht nicht. Ab und an, wenn wir aneinander vorbei laufen, schaut er mich an und scheint für einen kurzen Moment zu lächeln. Wie wenn wir ein Geheimnis teilen würden. Wie wenn wir einen verbotene Nacht verbracht hätten, von der nur wir beide wissen. Es ist skurril. Aber lustig. Und definitiv irgendwie angenehm.

Auf der Rückfahrt machen wir noch mal alle Fotos voneinander. Jeder gibt einmal seinen Fotoapparat rum und lässt die anderen Fotos von sich und den anderen machen. Erinnerungen festhalten.

Als ich meinen Fotoapparat wieder bekomme, sehe ich, dass Gretas Freundin (die ich wirklich toll fand), auf meinem Erinnerungsfoto ein blödes Gesicht gemacht hat. Sie merkt an, dass wir das ja noch mal machen könnten. Und ich sage nein. So wird sie mir jetzt in Erinnerung bleiben. Selbst schuld.

Tja, Frau ohne Namen, so bleibst Du in meiner Erinnerung. Selbst schuld.
Tja, Frau ohne Namen, so bleibst Du in meiner Erinnerung. Selbst schuld.

Ein paar Minuten später essen wir das letzte Mal miteinander, dann verabschieden wir uns. Aus irgendeinem Grund haben wir uns schon vorher entschieden, keine Kontaktdaten auszutauschen. Wieso, weiß ich nicht mehr. Es ist auf jeden Fall ein komisches Gefühl, sich von Menschen zu verabschieden, wenn man weiß, dass man sie wahrscheinlich nie mehr wiedersehen wird. Dann geht meine Reise weiter. Über ein paar Stunden im Transporter (mit einem sehr übelriechenden, aber redseligen Brasilianer) und danach ein paar Stunden im Reisebus. Bis ich schließlich in Foz de Iguacu ankomme. Und dort die nächsten Abenteuer erlebe.

 

 

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Waterpower

Auf der Grenze zwischen Brasilien und Argentinien verlaufen die Iguacu-Fälle. Und auf der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay steht der Itaipu-Staudamm. Beide sind Symbole für die schiere Kraft des Wassers. Die man wirklich spürt, wenn man dort ist.

Die Ankunft in Foz de Iguacu gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ich erreiche den Busbahnhof und suche dort den Bus in die Stadt. Und finde den auch recht schnell. Im Bus treffe ich einen deutschen Verwaltungsfachangestellten, der vor einem Jahr seinen Job an den Nagel gehängt hat und seitdem in Foz de Iguacu lebt. Und von dort aus durch die Gegend reist. Er erzählt mir in unglaublich prägnanter Kurzform seine Lebensgeschichte und verabschiedet sich dann genau so schnell wieder wie er gekommen ist. Bevor ich auch nur den Gedanken beginnen kann, wie faszinierend es ist, dass ein so biederer Typ wie er einfach ausbricht und den Traum lebt, den wahrscheinlich viele Beamte hinter einem grauen Schreibtisch träumen, ist er plözlich wieder aus dem Bus und meinem Leben verschwunden. Wie ein Hauch. Da und sofort wieder weg.

Ich prüfe noch einmal bei Google Maps, wo das Hostel liegt, das ich im Voraus gebucht habe und checke, wo ich mit dem Bus gerade bin. Noch eine Haltestelle, denke ich mir, dann bin ich da. Oder ich bleibe noch eine Weile länger drin und bin dann wohl sogar etwas näher dran. Die Karte auf dem Handy und die Karte auf der Webseite sind irgendwie uneindeutig. Ich bleibe noch eine Haltestelle drin. Und dann bleibt der Bus plötzlich nicht mehr stehen. Sondern fährt und fährt und fährt. Aus der Innenstadt heraus über eine Art Landstraße. Und ich werde unruhig. Das Stadtbild ändert sich rasch. Von einer belebten, mit Touristen gefüllten Stadt, fahre ich plötzlich durch ein Ghetto. Es ist hellichter Tag, aber trotzdem fühle ich mich nicht mehr ganz so sicher wie zuvor. Ich beobachte, ob es einen Bus gibt, der uns entgegen kommt und eventuell wieder in die Stadt zurück fährt. Die Busse hier haben aber keine Nummern und ich fürchte, dass ich dann in eine ganz falsche Richtung fahren könnte. Also entscheide ich, lieber sitzen zu bleiben und darauf zu warten, dass der Bus umdreht und wieder zurück fährt. Auch wenn das sicherlich viel länger dauern wird. Ich mache das Beste draus und schaue mir an, wie die Stadt an mir vorüber zieht und immer wieder ihr Gesicht ändert. Inzwischen, eine halbe Stunde später, sind wir offensichtlich im Reichenviertel angekommen. Überall Häuser mit Garten und vernünftigen Autos vor der Tür. Also für uns normale Autos, für Brasilien bzw. Foz de Iguacu wahrscheinlich ziemliche Reichtümer. Der Bus fährt inzwischen über kleine Sträßchen mit Kopfsteinpflaster und ich bekomme langsam Zweifel, ob der überhaupt jemals zurück in die Stadt fährt. Die Frage, was ich mache, wenn nicht, wird in meinem Kopf immer größer. Das Blöde ist, dass ich keine Antwort darauf habe. Ein Taxi anhalten wird hier draußen wohl nicht funktionieren. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon in so ein Haus reinlaufen und auf Englisch fragen, ob sie mir sagen können, wie ich in die Stadt komme. Und feststellen, dass sie kein Englisch sprechen.

Das war nicht der Bus, mit dem ich rum gefahren bin. Aber ich fand den einfach geil.
Das war nicht der Bus, mit dem ich rum gefahren bin. Aber ich fand den einfach geil.

In diesem Moment spricht mich ein junges Mädchen an, ob ich wüsste, wo ich hin fahre. Sie spricht englisch. Ich schildere ihr, was passiert ist und sie lacht und beruhigt mich. Und sagt, dass der Bus gleich wieder zurückfahren werde. Und dass es keinen Bus in die Gegenrichtung geben würde. Es war also ganz richtig, einfach sitzen zu bleiben. Wir unterhalten uns noch ein bisschen. Sie ist Schülerin und hat heute Geburtstag. Ich singe ihr spontan Happy Birthday und gratuliere ihr. Wir quatschen noch ein bisschen, dann ist sie zuhause angekommen, hüpft aus dem Bus und ich bin wieder allein. Aber mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Wissen, dass doch alles gut wird. Ich genieße die weitere Fahrt und stelle fest, dass wir tatsächlich wieder in die Stadt fahren. Allerdings eben auf einer anderen Route als die, aus der wir gekommen sind. Wir fahren wieder durch den Busbahnhof. Ich habe jetzt also tatsächlich eine komplette Runde gedreht. Na gut. Diesmal erwische ich die richtige Haltestelle, springe raus und mache mich auf den Weg zum Hostel. Das ist leider noch mal ein guter Kilometer. Bei 35 Grad im Schatten und einem schweren Rucksack auf dem Rücken wahrlich kein Zuckerschlecken. Ich komme also total durchgeschwitzt im Hostel an. Checke ein und setze mich gleich mit dem Empfangstypen hin. Zwei Tage habe ich, sage ich ihm, dann geht’s weiter auf die argentinische Seite von Iguacu. Wir planen meinen Aufenthalt fast minutiös. Morgen solle ich mir erstmal die Wasserfälle anschauen. Am Tag darauf dann den Itaipu-Staudamm. Für den würde ich nur einen halben Tag brauchen und könnte dann am Nachmittag mit dem Bus nach Argentinien fahren. Jetzt schnell ins Bett, damit ich fit für den Sightseeing-Marathon bin.

Als ich an den Wasserfällen ankomme und das erste Mal das Rauschen höre, bin ich sofort gefangen. Es heißt, dass die Kraft des Wassers irgendwie positive Ionen freisetzen würde. Jedem Chemiker und jedem Physiker wird bei diesem Satz wahrscheinlich ein kalter Schauer über den Rücken wandern. Aber abseits aller logischen Fehler finde ich, dass die Vorstellung irgendwie schön ist. Und irgendetwas Positives (im nicht-elektrischen Sinne) erlebt man tatsächlich, wenn man an diesem Ort ist. Wasser hat etwas sehr Lebendiges. Darum leben Menschen ja auch so gerne am Wasser. Und bewegtes Wasser hat etwas Kraftvolles, Positives, Starkes, das auf einen abstrahlt.

Der erste Blick auf die Wasserfälle
Der erste Blick auf die Wasserfälle

Mir öffnet sich ein erstes Panorama über die Iguacu-Wasserfälle und ich mache mein erstes Foto. Endlich bin ich an dem Ort angekommen, der immer eine magische Anziehung auf mich ausübte. Ich wollte schon seit ich denken kann einmal an diesen Ort kommen. Und wusste nie warum. Monate später, als ich für den 60. Geburtstag meines Vaters seine alten Fotoalben durchblättere, klappt mir der Mund nach unten. Ich finde in einem der Fotoalben genau dasselbe Foto wie eben jenes erste, das ich in diesem Jahr geschossen hatte. Die selbe Perspektive. Fast dasselbe Bild. Nur eben dreißig Jahre älter. Ich wusste nie, dass mein Vater auch an den Iguacu-Fällen war. Von seinen Reisen in den Iran hatte er erzählt, von Macchu Picchu und Taj Mahal. Aber nie von Iguacu. Trotzdem übte dieser Ort viel mehr Anziehung auf mich aus als eben Macchu Picchu und das Taj Mahal. Zufälle gibt’s.

Ich mache mich auf meinen Weg, die Fälle näher zu erkunden und finde direkt etwas, was mich fasziniert: Rafting an den Wasserfällen entlang. Buchbar für den späten Nachmittag. Ich frage, ob ich es schaffen würde, einmal die ganzen Wege abzulaufen und trotzdem rechtzeitig zum Rafting da zu sein und natürlich wird meine Frage bejaht. Alles tun um ein Ticket zu verkaufen. Ich schlage zu und freue mich jetzt schon darauf, später durchgeschüttelt und durchnässt zu werden. Erstmal aber geht’s darum, die Fälle aus allen Perspektiven zu betrachten und zu fotografieren. Das Ergebnis seht Ihr unten in der Galerie.

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Auf der brasilianischen Seite kann man in den Teufelsschlund hinein laufen und hoch gucken.

Natürlich wird am Ende alles knapp und ich muss mich sputen, um rechtzeitig zur Rafting-Tour zu kommen. Als ich am Ticket-Stand ankomme, sind alle anderen schon auf dem Weg nach unten und mir wird klar gemacht, dass ich hinterher rennen muss. Ich spurte über kleine Kieselwege und ein winziges Waldgebiet und stehe plötzlich gefühlte 200 Meter über dem Boden auf einer großen rostigen Eisen-Wendeltreppe. Und da muss ich jetzt runter. Mit meiner Höhenangst. Na super. Aber ich habe keine Zeit zu zögern. Unten sehe ich die Leute, wie sie schon am Boot sind und Helme aufhaben und auf mich warten. Also sause ich die Stufen hinunter und wundere mich, wie unwichtig Phobien sein können, wenn man keine Wahl hat.

Das ist die Wendeltreppe. Sieht von unten weit weniger gruselig aus. War sie aber.
Das ist die Wendeltreppe. Sieht von unten weit weniger gruselig aus. War sie aber.

Unten angekommen muss ich dann noch über Stock und Stein hüpfen um irgendwann am Ziel anzukommen: dem Boot.

Na bitte. Hat doch alles geklappt.
Na bitte. Hat doch alles geklappt.

Die Rafting-Tour gestaltet sich weit weniger aufregend als ich gedacht hätte. Ein paar Wellen und ein bisschen hoch und runter und ein bisschen nass. Aber so richtiger Nervenkitzel ist das nicht. Der kommt erst auf als uns die Anführer nacheinander zum Kapitän machen. Dafür muss man sich auf den hinteren Rand des Bootes stellen und zwei riesige Ruder bedienen. Und dann soll man Kommandos geben, damit die restlichen Leute im Boot rudern. Nachdem meine Vorgänger das etwas verhalten gemacht hatten und keiner so wirklich gerudert hatte, dachte ich, ich geb mal etwas Feuer rein. Und lasse mein nicht gerade leises Organ die Arbeit tun. Und schreie die Mannschaft an: FORWARD! ROW THE BOAT FORWARD! GO, YOU BITCHES! THIS IS WAR! FIGHT, ROW, FORWARD!

Statt zu rudern, scheint die Mannschaft eher konsterniert zu sein. Und die beiden eigentlichen Captains flüstern den beiden vor ihnen etwas zu. Im nächsten Moment klatschen die beiden Captains und die beiden anderen Jungs mit ihren Rudern so ins Wasser, dass ich mächtig geduscht werde. Und kaum mehr Luft bekomme, soviel Wasser fliegt mir ins Gesicht. Na gut. Hatte ich vielleicht verdient.

Nach der Fahrt trocknen wir alle noch ein wenig in der heißen Nachmittagssonne und dann geht’s zurück ins Hostel. Dort erwartet mich etwas ganz Besonderes: ein „Beer Tasting“. Das wäre für mich als Deutschen doch toll, wurde mir gesagt. Sold!

Auch Fred war begeistert von der Idee, ein Beer Tasting zu haben.
Auch Fred war begeistert von der Idee, ein Beer Tasting zu haben.

Am Abend habe ich einen ähnlichen Moment wie bei der Unterhaltung mit Nico – mir wird bewusst, dass ich doch nicht so viel deutsche Kultur in mir trage, wie ich manchmal gerne denke. Nicht nur habe ich weniger Hesse gelesen als der brasilianische Urwald-Führer. Nein. Jetzt sitze ich in Brasilien und lerne das erste Mal richtig was über Bier. Während des Beer-Tastings wird mir erklärt, wie die Brasilianer hier selbst angefangen haben, Bier zu brauen. Wie sie etwas Besonderes brauen wollten und nicht nur irgendwelche Standard-Biere. Mir werden Geschmacksnoten näher gebracht und beschrieben wie sonst nur bei guten Rotweinen. Und erklärt, wie die einzelnen Biere gebraut wurden. Wir bekommen von jeder Richtung (Pils, Ale, IPA und Weizen) einen Probierbecher und müssen unsere Meinung dazu abgeben. Das IPA schmeckt mir am Besten. Es ist auch mein erstes. Das Weizen finde ich überraschend gelungen. Hätte nicht gedacht, dass es Weißbier noch irgendwo anders auf der Welt gibt.

Beim Beer-Tasting freunde ich mich mit einem Pärchen an, das in einem anderen Hostel wohnt. Also richtig dort wohnt. Für ein paar Monate. Sie erfahren, dass ich hungrig bin und laden mich ein, mit ihnen zum Hostel zu kommen, weil es dort die beste Pizza der Welt gäbe. Ich sage zu und wir laufen gemeinsam hin. Statt 300 Metern sind es allerdings ungefähr drei Kilometer. Und als wir ankommen, dauert es nochmal eine halbe Ewigkeit, bis die Pizza da ist. Dafür ist sie ungelogen so groß wie ein Wagenrad. Da ich in der Zwischenzeit einen Liter Bier (normales) getrunken habe, kriege ich gerade mal zwei dünne Stücke in mich rein. Den Rest muss ich lang und breit überreden, das Ding mit mir gemeinsam zu essen. Wir sitzen noch stundenlang draußen rum und trinken und reden und irgendwann tief in der Nacht mache ich mich auf den Weg zurück in mein Hostel.

Vor dem Itaipu-Staudamm machen wir ein kleines Rätsel: Wo versteckt sich Fred auf diesem Bild?
Vor dem Itaipu-Staudamm machen wir ein kleines Rätsel: Wo versteckt sich Fred auf diesem Bild?

Am nächsten Tag geht’s zum Itaipu-Staudamm. Das Teil ist ein Gemeinschaftsprojekt von Brasilien und Paraguay und eines der beeindruckendsten Bauwerke, die Menschen je gemacht haben (finde ich). Es ist das größte Kraftwerk der Welt – auch nach Inbetriebnahme des Drei-Schluchten-Damms in China. Das liegt daran, dass letzteres nicht voll ausgelastet ist, Itaipu hingegen schon. Der Damm hat 20 Turbinen. Nur zwei davon haben ungefähr denselben Wasserdurchfluss (700 m³ pro Sekunde) wie die Iguacu-Wasserfälle um die Ecke.

Durch eine dieser Röhren schießt ungefähr die Hälfte der Wassermenge, die in Iguacu über die Kante läuft
Durch eine dieser Röhren schießt ungefähr die Hälfte der Wassermenge, die in Iguacu über die Kante läuft

Eine weitere Besonderheit über den Staudamm ist, dass er quasi ein eigenes Staatsgebiet darstellt. Brasilien und Paraguay haben das Ding gemeinsam gebaut. Auch, weil der Paranà, der hier aufgestaut wird, zu Teilen in Brasilien und zu Teilen in Paraguay liegt. Es musste also irgendwie eine Regelung her, die für beide Seiten akzeptabel ist. Man entschied sich letztlich, das Projekt nicht nur als gemeinsames Bauprojekt aufzuziehen, sondern als staatsunabhängiges Unternehmen. Der Gedanke war, dass beide Staaten eine Anschubfinanzierung zu gleichen Teilen geben und sich das Projekt hinterher selbst trägt. Das läuft so, dass Itaipu den entstehenden Strom an die Länder verkauft und sich von den Einnahmen über Wasser (haha) halten muss. Also Reparaturen durchführen, Löhne zahlen, Rücklagen bilden für die Erneuerung der Turbinen und so weiter.

Weil man verhindern wollte, dass durch einen politischen Umsturz in Brasilien (da steht der Staudamm geographisch) das Unternehmen verstaatlicht werden könnte, ist das Teil nicht nur ein eigenes Unternehmen, sondern sogar ein eigenes Staatsgebiet. Ich glaube zumindest, dass das der Grund war – gesichert ist diese Info aber nicht. Auf jeden Fall ist es so, dass man sich mit dem Betreten des Geländes nicht mehr in Brasilien befindet. Sondern in Itaipu binacional. Das läuft auch richtig mit Reisepass vorlegen und Sicherheitskontrolle (natürlich!) und so was alles. Und wenn man dann drin ist, dann ist das Ding auch in zwei gleich große Teile aufgeteilt. Eine brasilianische und eine paraguayische Seite. Mit einer Linie in der Mitte, die das genau trennt.

Links Brasilien, rechts Paraguay. Oder andersrum
Links Brasilien, rechts Paraguay. Oder andersrum

Allerdings ist nicht nur der Platz im Staudamm in genau zwei gleich große Hälften geteilt. Das Prinzip zieht sich streng durch alles durch, was man hier findet. Am Prägnantesten ist das im Kontrollraum. Der verfügt über zwei absolut identische Hälften. Zwei Steuerungszentralen, eine links, eine rechts. Und beide haben wechselseitig die Kontrolle über den Staudamm. Einmal ist für acht Stunden die brasilianische Seite am Drücker. Dann für acht Stunden die Paraguayische. Und dann wieder von vorn. Trivia am Rande: die Bildschirme, Hebel und Kontrollleuchten im Hintergrund sind nur noch Artefakte einer längst vergangenen Zeit. Kontrolliert wird der Staudamm mit den drei Bildschirmen, die vor dem Typen stehen.

Auch die Steuerungseinheiten sind absolut identisch. Und es gibt eine pro Land. Die wechselseitig am Drücker sind.
Auch die Steuerungseinheiten sind absolut identisch. Und es gibt eine pro Land. Die wechselseitig am Drücker sind.

Alles in allem ist der Besuch am Itaipu einfach gigantisch. Die puren Zahlen, die schiere Größe, die Kraft, die hier dahinter steht, hab ich bisher nirgendwo anders gesehen. Es ist ein beeindruckendes Bauwerk mit phänomenalen Zahlen: alle Turbinen zusammen produzieren über 2.000 Terawatt-Stunden Energie pro Jahr. Zum Vergleich: der Kernreaktor mit der höchsten Jahresproduktion schafft gerade mal über 12. Itaipu deckt mit dieser Menge an Strom fast den kompletten Bedarf von Paraguay (bei der Führung wurde von 90% gesprochen, auf Wikipedia steht 75%) und ein knappes Sechstel des Gesamtenergiebedarfs von Brasilien. Das führt dazu, dass Paraguay sich wirtschaftlich ganz gut gesund stößt mit dem Projekt. Denn laut Abkommen gehört der produzierte Strom den Ländern zu gleichen Teilen. Weil Paraguay mit so viel Strom gar nix anfangen kann, verkaufen sie einen großen Teil ihres Anteils einfach direkt wieder an Brasilien.

Kaum zu glauben, dass dieser künstliche See mehr Strom produziert als über 100 Atomkraftwerke zusammen.
Kaum zu glauben, dass dieser künstliche See mehr Strom produziert als über 100 Atomkraftwerke zusammen.

Natürlich sollte man an dieser Stelle nicht verschweigen, dass es auch kritische Stimmen gegenüber dem Itaipu gibt. So war der Bau des Staudamms damit verknüpft, dass einige Ländereien aufgegeben werden mussten, jede Menge Land überflutet wurde, Wasserfälle in der Größe von Iguacu ertränkt wurden und nicht zuletzt einige zehntausend Guarani-Indianer umgesiedelt werden mussten. Jetzt kann man da sicherlich geteilter Meinung drüber sein – ich ganz persönlich aber halte Kosten und Nutzen hier für deutlich gerechtfertigter als bei vielen anderen Methoden der Energiegewinnung. Vor allem wenn man bedenkt, wie umweltschädlich Kohlekraftwerke sind oder wie nachhaltig gefährlich Atomkraftwerke. Interessanterweise (und blöderweise, weil ich gehofft hatte, dass da noch Potenzial sei) nutzt Europa die zur Verfügung stehende Wasserkraft schon sehr effizient. Wir haben zwar kein so großes Teil wie den Itaipu. Aber wir haben halt auch keine so riesigen Flüsse wie den Paranal.

Ach ja, vor den Wasserfällen steht übrigens ein Roboter. Ganz oben hab ich Euch den schon mal gezeigt. Habt Ihr Fred gefunden? Nein? Hier isser:

Hat er sich ganz geschickt versteckt, der Kleine!
Hat er sich ganz geschickt versteckt, der Kleine!

Vom Staudamm geht’s direkt mit dem Bus nach Argentinien. Dabei muss man höllisch auf eine Sache aufpassen: bloß nicht den letzten Bus nehmen! Denn der Grenzübergang ist tückisch. Der Bus hält an der brasilianischen Seite der Grenze und schmeißt alle Fahrgäste raus. Die müssen sich dann ihren Pass zur Ausreise abstempeln lassen. Das dauert aber meistens so lange, dass der Bus einfach wegfährt und man eine halbe Stunde auf den Nächsten warten muss. Der letzte nächste Bus fährt aber um 18.00 Uhr. Und wenn man den verpasst, dann sitzt man irgendwo an der Grenze, ist gerade ausgereist und kann bis zum nächsten Morgen gucken, wo man bleibt.

Da ich das ja wusste, war alles kein Problem. Ich sitze halt ne halbe Stunde an der Grenze rum. Wo nicht wirklich was los ist. Außer einem Typen, mit dem ich ein bisschen Spanisch spreche. Also wahrscheinlich drei bis vier Sätze in einer halben Stunde. Ich kann ja kaum ein Wort. Wir lachen trotzdem beide viel. Dann kommt der nächste Bus und es geht weiter. Zur argentinischen Einreise. Die bestimmt fünf Kilometer weit weg ist. Dort hält der Bus, wir steigen alle aus, gehen ins Grenzhäuschen, lassen unser Gepäck scannen und unsere Pässe abstempeln und als wir nach ungefähr zehn Minuten wieder raus kommen, wartet der Bus auf uns. Die Einreiseprozedur hat definitiv länger gedauert als der Ausreiseprozess – aber da wartet der Bus. Muss man auch nicht verstehen.

Bei meiner Ankunft im Hostel in Puerto Iguassu ist früher Abend. Die Sonne macht immer noch ganz gut warm und ich trinke ein kaltes Bier im gemütlichen Garten des Hostels. Und schreibe einen Brief. An mich selbst. Weil ich an jeder Station festhalten will, was ich erlebt habe. Und mir dann diese Briefe von überall aus der Welt nach Hause schicke. Und hoffentlich für immer eine Erinnerung daran habe, was ich auf dieser Reise so alles erlebt habe.

Nach diesem Tag hat auch Fred wieder jede Menge Durst. Und mir sieht man die Strapazen deutlich an.
Nach diesem Tag hat auch Fred wieder jede Menge Durst. Und mir sieht man die Strapazen deutlich an.

Leute sind allerdings keine da. Ich sitze alleine im Garten und als es dunkel wird, entscheide ich, dass ich mir was zu essen suchen sollte. Dann eben alleine, wenn hier niemand ist. Vielleicht lerne ich ja irgendwo jemanden kennen. Ich gehe in mein Zimmer – ein Vierer-Dorm, das mir alleine gehört. Niemand sonst da. Ich packe aus, ziehe mich aus, gehe duschen, mache mich fertig, schaue in den Spiegel und denke: „ha, da konnte man ja doch was draus machen.“ Sieht nur blöderweise erst mal niemand außer mir. Ich stecke meine Schlüssel in die Tasche, checke noch mal alles und mache mich auf den Weg in einen einsamen Abend. Dann öffne ich die Tür, um hinaus zu treten und bekomme die Tür fast ins Gesicht. Und vor mir steht Aleks. Lächelt mich an, ich mache einen Schritt zurück und lasse sie eintreten.

Wir unterhalten uns. Fünf Minuten. Dann sage ich, dass ich gerade essen gehen wollte und frage, ob sie mitkommen möchte. Sie möchte. Und sagt, sie hatte schon Sorge, dass sie alleine essen müsse. Ich auch, sage ich, und wir freuen uns über die lustigen Zufälle, die das Schicksal manchmal für uns bereithält.

Bei meiner Anreise hatte mir die Rezeptionistin ein Restaurant besonders empfohlen und mir auch gleich einen Gutschein für zwei Gläser Wein mitgegeben. Als ob sie gewusst hätte, dass ich noch eine Begleitung finden würde. Wir schlendern dorthin und lassen es uns gut gehen. Ich weiß nicht mehr, was ich hatte. Aber es hatte mit Fleisch zu tun. Klar, ist ja auch Argentinien.

Wir unterhalten uns über alles Mögliche und es ist das perfekte erste Date. Wir erzählen uns aus dem Leben, machen Witze und Sprüche, stoßen häufig darauf an, dass wir uns gefunden haben, schauen uns fast ein bisschen verliebt an und haben einfach einen großartigen Abend.

Auch Fred genießt einen Abend, an dem die Wellenlänge einfach von Anfang an stimmte.
Auch Fred genießt einen Abend, an dem die Wellenlänge einfach von Anfang an stimmte.

Nach dem Essen schauen wir uns die Innenstadt an. Und suchen uns einen Laden, in dem wir noch ein Glas Wein zusammen trinken. Unsere Unterhaltung bleibt auf einem konstant angenehmen Level. Langsam beginne ich, daran zu denken, dass hier vielleicht doch mehr gehen könnte. Und sage mir im gleichen Zug, dass ich ruhig bleiben solle. Schließlich hätten wir noch die ganze Nacht und auch das Zimmer für uns. Was auch immer passieren sollte, es würde schon von alleine geschehen.

Wir gehen zurück zur Anlage, haben aber beide keine Lust, schon aufs Zimmer zu gehen. Dafür ist die Nacht zu lau und der Sternenhimmel zu schön. Ich überrede also die Rezeptionistin, uns noch zwei Dosen Bier zu geben (war das letzte, was wir noch kriegen konnten) und wir setzen uns an den Pool. Beziehungsweise legen uns auf zwei Liegen, die da rum stehen. Und unterhalten uns weiter, während wir die Sterne beobachten. Und reden über die Sterne. Was es da oben alles so gibt und wie weit das alles ist und was man halt so bespricht, wenn man in den Sternenhimmel schaut und Alkohol trinkt.

Als unser Bier alle ist, beschließen wir, dann doch langsam ins Bett zu gehen. Wir lachen und schäkern und ich bin mir sicher: sobald wir im Zimmer sind, ist es Zeit für den Move. Und dann werden wir eine tolle Nacht miteinander haben.

Im Zimmer erwarten uns zwei Typen, die gerade eingecheckt haben und noch dabei sind, ihre Koffer auszupacken. Als wir eintreten, fangen sie sofort eine Unterhaltung an. Der eine Typ merkt schon nach ganz wenigen Momenten, dass er die Situation gerade gehörig stört. Er versucht, seinem Kumpel irgendwie klar zu machen, dass sie vielleicht noch mal um den Block gehen sollten. Aber der hört nicht auf ihn und labert einfach weiter. Irgendwann wird es Typ 1 zu blöd und er verzieht sich. Typ 2 labert und labert und labert. Wir gehen beide nacheinander zu Bett (ich zuerst, weil mega angepisst), dann sie. Aber er hört nicht auf. Erst, als ich ihm zum dritten Mal sage, dass ich gerne schlafen würde, gibt er Ruhe. Die Situation, jegliche Magie, die der Moment, die der Abend hatte, ist zu diesem Zeitpunkt mehr als tot. Was bleibt, ist die Erinnerung. An die schönen Stunden zuvor. Der Abend hätte ein anderes Ende verdient gehabt. Nichtsdestotrotz wird er als einer der Höhepunkte dieser Reise in Erinnerung bleiben. Weil ich selten zuvor so unverhofft einen Menschen getroffen habe, mit dem ich sofort so eine Wellenlänge hatte. Auch, weil ich selten zuvor so schnell so hart abgebremst wurde. Und auch, weil mich dieser Abend nicht zum ersten und garantiert nicht zum letzten Mal lehrt, dass das Leben erstens immer anders kommt und zweitens als man denkt. Und dass sich nichts von selbst ergibt. Sondern, dass das Leben einem Gelegenheiten gibt. Immer und immer wieder. Große und kleine Gelegenheiten. Dass aber eine Gelegenheit nie einfach von sich aus zu etwas Großem wird. Sondern, dass wir zuschnappen müssen. Dass wir die Gelegenheit ergreifen und etwas daraus machen müssen.

Ich hatte viele Gelegenheiten an diesem Abend. Ich hätte Aleks küssen können. Nach dem Restaurant, im Bistro, spätestens am Pool. Überall aber habe ich gedacht, dass noch eine bessere Gelegenheit kommen würde, dass es besser passen würde. Und dann war die Gelegenheit vorbei.

Die Kunst zu leben besteht darin, Gelegenheiten zu erkennen und dann den Mut zu haben, die Gelegenheit auch zu nutzen. Viel zu oft ist die Möglichkeit viel zu schnell wieder dahin. Und kommt nicht mehr zurück. Mut ist ein wichtiger Schlüssel zum Glück.

Am nächsten Morgen frühstücken wir alle vier zusammen. Typ 2 ist immer noch in Redelaune, ich sage kein Wort. Erst als ich gehe, fällt mir ein Satz ein, den ich ihm zum Abschied stecke. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Aber irgendwas, dass es manchmal besser ist, zu hören und zu fühlen und dann auch einzusehen, dass man gerade am falschen Platz ist. Kapiert hat er es – glaube ich – nicht. Aber es ist auch egal. Es hätte ja eh nichts mehr geändert.

Ich verabschiede mich ziemlich unterkühlt von Aleks und das tut mir im Nachhinein leid. Es ging aber nicht anders. Ich war müde und immer noch angepisst und wollte nur noch weg. Und war froh, als ich endlich im Bus auf dem erneuten Weg zu den Wasserfällen saß. Diesmal von der anderen Seite.

Im Hostel hatte ich das volle Abenteuer-Ticket gebucht. Mit Bootsfahrt durch den Dschungel, Safari-Tour und Motorboot in die Wasserfälle hinein. Auf dem Papier klang das super. Bevor es so weit war, durfte ich mir aber erst mal selbst die Wasserfälle anschauen. Mein Tag war fast minutiös durchgetaktet. Es gab Zeiten, zu denen ich an bestimmten Orten sein müsste um am frühen Abend meinen Flieger nach Buenos Aires zu bekommen. Gut, dass ich rechtzeitig da war und gut, dass ich als erster in den ersten Zug einsteigen konnte, der mich direkt zu den Fällen bringen sollte. Man sagte mir, der Zug würde erst in 15 Minuten los fahren, aber das war kein Problem. Ich wäre immer noch pünktlich.

Ich nehme schon mal Platz, auch wenn ich ein paar Minuten warten muss
Ich nehme schon mal Platz, auch wenn ich ein paar Minuten warten muss

Nach 15 Minuten setzt sich der Zug in Bewegung. Ich bin einer von vielleicht zehn Fahrgästen. Nach ungefähr 500 Metern fährt er in die erste Station ein. Dort stehen ungefähr 200 Menschen an, die in den Zug einsteigen wollen. Ich bin erleichtert, dass ich schon sitze, denn da hätte ich keine Chance gehabt. Als wir anhalten, kommt eine Durchsage, die uns mitteilt, dass wir alle aussteigen und in den nächsten Zug einsteigen müssten. Ich gehe davon aus, dass die „Schaffner“ schon irgendwie dafür sorgen würden, dass wir dann zumindest als erste in den neuen Zug einsteigen könnten, aber denkste! Die schieben uns aus dem Bahnhof und bums! Stehen wir am Ende der Schlange. Keiner von uns kann Spanisch, keiner von denen vor uns lässt uns durch. Alle vor uns steigen in den Zug ein und ungefähr 10 Meter vor uns geht die Schranke runter. Zug voll. Der nächste kommt in 30 Minuten. Mein Zeitplan…hinfällig.

Ich schnappe mir einen der Schaffner und versuche in Erfahrung zu bringen, wie weit es wäre, wenn ich laufen würde. Ooh, das wäre viel zu weit, sagt er mir. Da wäre ich Stunden unterwegs. Ich schaue auf den Plan und kann das nicht so richtig glauben. Es ist mir auch egal. Ich habe Wut im Bauch und will mich bewegen und nicht 30 Minuten rumstehen. Ich frage, ob ich immer den Schienen folgen muss und er bejaht. Also mache ich mich auf den Weg.

Immer den Schienen nach – und auf halber Strecke kommt ein leerer Zug zurück. Bis auf den einen Typen, der offensichtlich glücklich ist, dass er um 9.00 Uhr schon alles gesehen hat, was er sehen wollte
Immer den Schienen nach – und auf halber Strecke kommt ein leerer Zug zurück. Bis auf den einen Typen, der offensichtlich glücklich ist, dass er um 9.00 Uhr schon alles gesehen hat, was er sehen wollte

Nach ungefähr 20 Minuten komme ich am Ziel an. Und entscheide, dass ich nie mehr einem Südamerikaner glauben werde, wenn er mir davon erzählt, wie anstrengend und unmöglich etwas sein soll.

Gestern stand ich auf der Seite der Wasserfälle, von der aus man ein wundervolles Panorama hat. Jetzt stehe ich genau auf der Klippe. Dort, wo das Wasser an der einen Stelle noch ganz ruhig ist und einen Meter weiter reißend in die Tiefe stürzt. Ein gigantisches Schauspiel. Ein wahnsinniges Gefühl.

Die Wege und Geländer führen hier oben genau über die Garganta del Diablo – den Teufelsschlund. Ich glaube, das sind die höchsten Fälle entlang der gesamten Wasserfälle. Vor allem aber wohl die mit dem meisten Wasserdurchfluss. Wenn man sich hier noch mal vor Augen führt, dass all dieses Wasser hier ungefährt so viel ist wie durch gerade mal zwei Turbinen des Itaipu durchfegt…Wahnsinn!

Es dauert eine knappe Stunde bis ich genug von den Wasserfällen habe. Passenderweise liege ich damit auch wieder genau im Zeitplan. Als Nächstes steht die Boots-Tour durch den Dschungel an. Die ist ungefähr so spannend wie die Kanal-Bootsfahrten, die man als Achtjähriger in Freizeitparks gemacht hat. Bei denen die Boote an Ketten geführt durch Märchenlandschaften gezogen wurden.

Die Farbkontraste zwischen erdigem Wasser und Landschaft sind zwar echt toll. Das bleiben aber die einzigen Höhepunkte.

Toller Kontrast, den die grünen Bäume gegen das erdige Wasser bilden. Das ist aber auch schon der Höhepunkt der Bootsfahrt.
Toller Kontrast, den die grünen Bäume gegen das erdige Wasser bilden. Das ist aber auch schon der Höhepunkt der Bootsfahrt.

Lächerlich wird es, als unser Bootskapitän aus großer Entfernung einen Kaiman entdeckt, wir mit dem Boot hinfahren und das Tier aus nächster Nähe beobachten können. Ich bin skeptisch. Die Kaimane, die ich in Brasilien gesehen habe, haben sich bei dieser Annäherung immer verkrochen. Der hier steht stumm und starr im Wasser. Und zwinkert nicht mal. Dass wir ihn zielstrebig aus großer Entfernung angesteuert haben, macht die Geschichte nicht glaubwürdiger. Ich bin überzeugt: der Kaiman ist ein Pappkamerad. Oder Plastik. Aber ich wäre mir nicht so sicher, dass ich im nächsten Moment ins Wasser springen würde.

Plastik oder Kaiman? Wer hält die Hand dafür ins Feuer, äh, Wasser?
Plastik oder Kaiman? Wer hält die Hand dafür ins Feuer, äh, Wasser?

Die anschließende Jeep-Tour durch die Flora und Fauna des Iguassu-Nationalparks ist noch lächerlicher. Wir sehen in zwei Stunden kein einziges wildlebendes Tier. Ausgenommen einer riesigen Spinne, die ihr Netz in fünf Metern Höhe über die Straße gespannt hat. Und ein paar Moskitos, die sich an den Uneingesprühten unter uns laben, während wir über eine Stunde auf unser Boot warten müssen.

Die Bootsfahrt an den Wasserfällen macht dafür wieder einiges wett. Sobald wir an Bord sind und abgelegt haben, bekommen wir wasserdichte Taschen für unsere Wertsachen. Wir bekommen gezeigt, wie wir die Taschen anwenden und verschließen und verstauen alle unser Zeug darin. Dann geht’s los. Wir fahren zunächst recht nah an einigen Wasserfällen entlang. Und dann steuern wir in eine Bucht – direkt auf einen riesigen Wasserfall zu. Wir fahren mit fast vollem Schub und dennoch sehr langsam an einen der Fälle heran. Und bleiben ungefähr einen Meter davor stehen. Es ist unglaublich majestätisch, so nah an diesen Wassermassen dran zu sein. Die Gischt schlägt ins Gesicht und wir sind innerhalb von Sekunden alle vollkommen durchnässt.

Da unten – wo der Regenbogen ist – sind wir reingeballert
Da unten – wo der Regenbogen ist – sind wir reingeballert

Dann gibt das Boot plötzlich Vollgas und wir heizen auf den Wasserfall zu. In der nächsten Sekunde sind wir genau drunter. Wenn man nach oben schaut, sieht man, wie riesige Tropfen auf einen runter prasseln. So viele und so stark, dass es mir fast die Sonnenbrille von den Augen haut. Ich schaue wieder nach vorne, um mich zu schützen, muss aber im nächsten Moment wieder nach oben gucken, weil es ein so geiles Gefühl ist und ein so unglaublich seltenes Bild. Endorphine jagen durch meinen Körper und ich fühle mich schlagartig wahnsinnig glücklich. Als das Boot vom Wasserdruck langsam zurückgedrängt wird und nicht mehr dagegen ankämpfen kann, lachen wir alle. Vor Glück. Man spürt richtig, wie die Menschen angefüllt sind mit positiver Energie. Das ganze Schauspiel wiederholen wir noch drei Mal. Dann geht’s zurück. Und auf dem Rückweg sehen wir, wie das nächste Boot in die Fälle reinheizt. Und freuen uns ein kleines bisschen, weil wir wissen, was für ein tolles Gefühl, diese Menschen jetzt erwartet.

Bis auf die Knochen durchnässt – aber unglaublich glücklich!
Bis auf die Knochen durchnässt – aber unglaublich glücklich!

Auf dem Weg zurück zur Anlegestelle kommt uns ein Rafting-Boot entgegen. Dasselbe, auf dem ich gestern unterwegs war. Aus heutiger Sicht: Junge, war das lame!

Genau in diesem Boot saß ich gestern und wurde nass.
Genau in diesem Boot saß ich gestern und wurde nass.

Von den Wasserfällen geht’s direkt zum Mini-Flughafen in Puerto Iguassu und ein paar Stunden später lande ich in Buenos Aires. Beim nächsten großen Abenteuer für mich. Und dem letzten Abenteuer, das Fred und ich gemeinsam erleben.

 

 

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Entführung in Buenos Aires (coming soon)

Hier wird die Story über die Entführung meines Elefanten stehen. Und ein paar andere Dinge, die so in Buenos Aires passiert sind. Beispielsweise das Bild von Madonna, die ein Eis isst.

Argentinien - Evita-Haus

Aber daneben gab es ja auch noch eine Menge anderer spannender Dinge. Zum Beispiel die faszinierenden Straßen von Buenos Aires und der Markt von San Telmo. Und auch dieses komische Comic-Wesen namens Mafalda, das ich mit Isa besucht habe.

Argentinien - MafaldaundIsa

Alles in Allem war Buenos Aires ein früher Wendepunkt der Reise. Denn in Buenos Aires hat diese Reise etwas verloren, das ich über die ganzen übrigen 88 Tage leider nicht mal annähernd ersetzen konnte: Fred.

Was das genau bedeutet und wo Fred jetzt ist – mehr gibt’s bald hier.

Fremde Welten voller Kälte

Patagonien hat die leerste Landschaft, die ich jemals gesehen habe. Eine Landschaft, die einem zeigt, was „alleine sein“ bedeuten kann. Und trotz ihrer schroffen Leere wirkt sie einladend. Wunderschön. Und bietet neben endloser Weite auch noch endloses Mund-Offen-Stehen. Wenn man sich in El Chalten aufmacht, den Fitz Roy zu betrachten. Oder einem der größten Gletscher der Welt beim Wachsen zuschaut.

Patagonien ist eines der Ziele, das auf meine Liste gewandert ist, weil ich Augen, Ohren und Herz offen gehalten habe. Ohnehin war klar, dass ich nach Südamerika will. Die Iguacu-Fälle sehen, Wildnis, Tiere, Natur. Aber wohin genau, wollte ich auf mich zukommen lassen. Dankbarerweise war ein guter Freund und ehemaliger Arbeitskollege – BackpackerSteve – ein paar Wochen/Monate vorher in Südamerika und hat einige interessante Beiträge dazu veröffentlicht. Einer davon handelte vom Perito Moreno Gletscher, dem angeblich zweitgrößten extrapolaren Gletscher der Welt. Ein paar Tage später sprach ich dann mit einem Arbeitskollegen aus einer ganz anderen Ecke, der vollkommen unabhängig von El Chalten schwärmte. Wie es der Zufall so will, liegt beides recht eng beieinander. Ich konnte also gar nicht anders: ich musste da hin!

Eigentlich war geplant, dass ich mit dem Bus von Puerto Madryn nach El Calafate fliegen würde. El Calafate ist quasi das Hub für touristische Aktivititäten da unten in der Südspitze Argentiniens. Durch die Ereignisse in Buenos Aires verpasste ich allerdings meinen Flieger nach Puerto Madryn und mein Zeitplan wurde deutlich enger als geplant. Das führte schließlich auch dazu, dass ich Torres del Paine von meiner Liste streichen musste. Ich flog also – einige Tage später als geplant – direkt von Buenos Aires nach El Calafate.

Der Kontrast zwischen Buenos Aires und Patagonien ist einer der Gründe, wieso Fliegen so faszinierend ist. Wir können innerhalb weniger Momente (Stunden) in eine ganz andere, komplett unterschiedliche Welt katapultiert werden. Nirgendwo habe ich den Kontrast bisher so deutlich erlebt wie an diesem Flug. Als wir in Buenos Aires abheben und ich einen letzten Blick auf diese Stadt zurück werfe, wird mir noch ein letztes Mal bewusst, wie riesig dieser 13-Millionen-Moloch ist. Irgendwo unter diesen 13 Millionen ist Fred jetzt gerade. Und ich bin oben, schaue runter und kann die Größe kaum fassen. Ich schaue auf Buenos Aires, bis wir durch die Wolkendecke gestoßen sind und nichts mehr außer weißen Schwaden und der Sonne zu erkennen ist. Dann widme ich mich meinem Reisetagebuch, lese etwas oder schlafe. Immer wieder schaue ich aus dem Fenster, um zu erkennen, wo wir gerade sind. Meistens sehe ich aber nur Wolken, ab und an mal die Küste. Nach über zwei Stunden merke ich, dass wir langsam absinken und klebe am Fenster. Aber ich sehe weiterhin nur Wolken. Eine dichte Decke von Wolken, wie man sie ja kennt, wenn man schon ma geflogen ist. Man erkennt einfach überhaupt nicht, was drunter ist. Und natürlich erwartet man auch nichts. Ich jedenfalls ging davon aus, dass ich gleich eine Landschaft sehen sollte, wie ich sie von überall her kennen. Ich sollte mich irren.

Als uns die Wolkendecke nach unten hinaus ausspuckt, blicke ich auf eine Landschaft, die ist, wie nichts, was ich vorher gesehen habe. Noch nicht mal annäherungsweise. Die Landschaft ist graubraun, steinig, sandig, schroff und vor allem: endlos weit und endlos leer. Über Kilometer nur Steine, ein paar kleine Büsche und sonst nichts. Kein Haus, kein See, kein Baum. Es sieht aus , wie ich mir den Mond immer vorgestellt habe. Da ist absolut nichts. Und genau das macht es so unglaublich faszinierend. Ich sitze gebannt am Fenster, versuche, irgendeine Form von Leben zu erhaschen. Irgendetwas zu sehen, was mich an etwas erinnert, das ich kenne. Und sehe kilometerweit, minutenlang nur Mondlandschaften. Und bin dabei so fasziniert, dass ich überhaupt nicht daran denke, ein Foto zu schießen.

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Das klingt jetzt seltsam…aber auf diesem Bild (was später aus dem Bus geschossen wurde) ist wesentlich mehr „los“ als in der Landschaft, die ich aus dem Flugzeug gesehen habe. Hier gibt’s beispielsweise eine Straße und einen Fluss. Aus dem Flugzeug: nada!

Irgendwann sind wir nur noch wenige Meter über dem Boden. Geändert hat sich die Landschaft aber nicht. Ich hatte erwartet, dass man irgendwann eine Stadt sehen würde oder vielleicht den Gletscher von oben oder sowas. Aber nichts. Wir sind 20 Meter über dem Boden und immer noch vollkommen im Nichts. Nein, das stimmt nicht ganz. Ganz in der Nähe erkenne ich einen See. Immerhin Wasser. Wir sind also nicht durch irgendeinen komischen Zufall tatsächlich auf dem Mond gelandet.

Da sind wir. Und um uns rum: nichts!
Da sind wir. Und um uns rum: nichts!

Dafür landen wir jetzt auf dem Flughafen in El Calafate. Der besteht aus einem kleinen Terminal-Gebäude (recht neu, der Tourismus scheint sich prächtig zu entwickeln), einer Landebahn, wahrscheinlich einem Zaun irgendwo und endlosen Weiten. Ich hatte mich vorher erkundigt, wie ich jetzt vom Flughafen in „die Stadt“ komme. Man kann im Terminal-Gebäude einen Mini-Transporter buchen, der einen dann rein fährt. Das Ticket ist schnell gekauft, den Transporter vor der Tür finde ich auch – genau wie ein paar andere Reisende. Nur der Fahrer ist nicht da. Der Transporter steht da, der Schlüssel steckt, die Tür ist offen und der Motor läuft. Aber der Fahrer ist nicht da. Ist das jetzt überbordendes Vertrauen, Egalitarismus oder das banale Wissen, dass wir eh nicht wüssten, wo wir hin fahren sollen? (Oder einfach eine Natur-Schweinerei…aber das steht auf einem anderen Blatt). Es ist auf jeden Fall ein interessantes Gefühl mit ein paar Fremden neben diesem VW-Bus mit laufendem Motor zu stehen, auf einem Parkplatz neben einem Flughafen mitten im Nirgendwo. Und ich merke meinen neuen Mitreisenden an, dass es ihnen allen ganz genau so geht. So entspinnt sich auch kaum ein Gespräch, das über die normalen Höflichkeitsfloskeln hinaus geht. Wir sind alle noch viel zu sehr geflasht von dieser Atmosphäre. Und eh nur eine Zweckgemeinschaft für die nächsten Minuten, bis wir unsere jeweiligen Hotels erreicht haben. Nach ungefähr 15 Minuten kommt dann irgendwann auch der Fahrer und es geht los. Und ich sehe das erste Mal unser Ziel – die Stadt „El Calafate“.

Ich muss zugeben...die größte Stadt der Gegend hatte ich mir anders vorgestellt.
Ich muss zugeben…die größte Stadt der Gegend hatte ich mir anders vorgestellt.

Meine Reise ist aber noch nicht beendet. Da ich ja einigermaßen unter Zeitdruck stehe, weil ich das Frachtschiff in Puerto Natales übermorgen erreichen möchte, muss jetzt alles etwas stringenter funktionieren. Mit dem Hostel habe ich bereits vorher abgeklärt, wie ich meinen Trip nach El Chalten und einen Besuch am Gletscher hinbekommen könnte. Wir haben uns geeinigt, dass ich mein Gepäck schnell im Hostel in El Calafate ablade, eine Tasche für einen Tag packe und dann sofort in den Bus nach El Chalten springe. Im Hostel treffe ich dann noch Martin, mit dem ich das alles per E-Mail ausgemacht hatte, bedanke mich herzlich bei ihm, lasse mich mit Kartenmaterial und Tickets ausstatten und starte in Richtung Busbahnhof. Auf dem Weg dahin schaue ich mir noch die Einkaufsstraße von El Calafate an (die deutlich mehr nach Touristenort aussieht als der eigentliche Ort – und ich weiß immer noch nicht, ob ich das gut oder schlecht finde). Dort esse ich noch ein sehr leckeres, sehr süßes, sehr schokoladiges Stück Kuchen. Und trinke eine heiße Schokolade. Warum? Darum!

Wer hier widerstehen kann, hat vom Leben nix verstanden!
Wer hier widerstehen kann, hat vom Leben nix verstanden!

Das Bergsteigerdörfchen El Chalten erreiche ich in vollkommener Dunkelheit und bei leichtem Regen. Mit einer Papierkarte in der Hand versuche ich mich zwischen Straßenlaternen durch zu navigieren, frage in zwei Bars (mit jeweils drei Insassen) nach dem Weg und erreiche mein Ziel dann doch schneller als zunächst gedacht. El Calafate war ja schon angenehm ruhig, aber gegenüber El Chalten eine ziemliche Party-Metropole. Boah, ist dieser Ort ruhig und gechillt.

An der Rezeption meines Hostels lasse ich mir erklären, welche Wander-Routen man zum Fitz Roy nehmen kann. Wichtige Info am Rande: der Fitz Roy ist der Berg, wegen dem man hier her kommt.
Es gibt drei Wege, unterschiedlich lang, unterschiedlich steil. Wenn ich um 7 Uhr aufstehe, dann habe ich 10 Stunden Zeitbudget, bis mein Bus zurück nach El Calafate fährt, rechne ich aus. 8 Stunden dauert die längste Tour, Frühstück kann man sich als Fresspaket mitgeben lassen. Zwei Stunden Puffer sollten ja wohl ausreichen, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt alles andere als bergsteige-affin, fit oder sportlich bin. Zudem läuft mir bei der Ausstattung der anderen Gäste im Hotel der blanke Schauer den Rücken runter. Thermo-Hosen, Wander-/Bergsteige-Schuhe, Handschuhe, Spezial-Mützen und so viele Dinge mehr, die man bei Globetrotter kaufen kann. Ich dagegen habe eine feste Hose, meine Fleece-Jacke, meine Softshell und meine Füße werden von meinen Lieblingsschuhen, Adidas Sambas, gekleidet. Den Everest würde ich so auch nicht besteigen. Aber für nen Spaziergang zum Fitz Roy wird’s ja wohl reichen, oder? Rock’n’Roll!

Meine treuen Begleiter - die roten Adidas Sambas. Aber ob die mich auch auf den Fitz Roy tragen würden? Oder zumindest nahe hin?
Meine treuen Begleiter – die roten Adidas Sambas. Aber ob die mich auch auf den Fitz Roy tragen würden? Oder zumindest nahe hin?

Es ist die längste und anstrengendste Wanderung, die ich in meinem Leben bis dahin unternommen habe. Für manche sicherlich ein Kinkerlitzchen, für mich schon ne Aufgabe. Besonders der letzte Anstieg hatte es in sich. Ist aber – auch wenn man nicht vollständig austrainiert ist – für „normale“ Leute vollkommen machbar. Auch mit normalem Schuhwerk.

Ach ja, es war nicht nur die bisher anstrengendste…es war definitiv auch die schönste Wanderung, die ich bisher gemacht habe. Eindrücke? Bitte schön.

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Alleine reisen lässt einen Dinge tun, die man nicht für möglich gehalten hätte. Selbst dieses Foto gibt nicht wieder, wie steil das da ist. Und wenn ich jetzt jemandem erzähle, dass ich über Steine und Steine geklettert bin, um mich da hin zu stellen und ein Foto zu machen, glaubt mir das doch keine Sau. War aber so.

Ich komme überpünktlich in El Chalten an und habe noch Zeit für ein Bier, bevor es zurück zum Busbahnhof geht. Nachdem ich auf 1.500 Meter war und Schnee gesehen und angefasst habe, sitze ich jetzt bei 20 Grad in der Sonne und lasse mir ein in El Chalten gebrautes Bier schmecken. Schmeckt auch richtig gut. Dann geht’s „zurück“ nach El Calafate und am nächsten Tag zum Gletscher.

Der Perito Moreno Gletscher ist touristisch perfekt erschlossen. Am Busbahnhof von El Calafate kann man Busse buchen, die einem die ganze Tour liefern. Hinfahren, ab auf ein Boot, über den See nah an den Gletscher ran, zurück in den Bus, das einen zu den zahlreichen Geländern bringt, über die man von oben, unten, links und rechts auf das Teil gucken kann und dann vier Stunden später wieder zurück in den Bus und zurück nach El Calafate. Das Faszinierende am Perito Moreno ist, dass der Gletscher einer der Wenigen auf der Welt ist, die noch wachsen. Jeden Tag um knapp zwei Meter schiebt sich der Eisriese weiter in Richtung Land und durch die dabei entstehende Bewegung krachen immer wieder riesige Eisstücke aus dem Gletscher raus. Die können dann gerne mal so groß wie ein großes Auto oder ein kleines Haus sein. Ab und an ist mal ein Glücklicher dabei, der seine Kamera zum rechten Zeitpunkt gezückt hat.

Die Phänomene, die man direkt am Gletscher spürt, sind ungewohnt, wie so vieles. Aber toll. Die Kälte, die irgendwie surreal wirkt. Man steht da bei ungefähr 15 Grad und direkter Sonneneinstrahlung. Steht auf einem Geländer und die Sonne knallt einem auf den Rücken. Und von vorne – von da, wo der Gletscher steht – kommt was Kaltes. Ganz seltsames Gefühl. Wie wenn man die Hand nah an einer Kerze hat. Oder an einem Eiswürfel. Man spürt die extreme Temperatur, die davon ausgeht, auch, wenn man sie nicht unmittelbar durch Berührung erlebt. Und auch die Urgewalten, die entstehen, wenn da so ein Eisbrocken runter kracht, sind nicht vorstellbar, wenn man’s nicht selbst gesehen und erlebt hat. Da kann auch kein Video mithalten. Noch unvorstellbarer, was alle paar Jahre mit dem Gletscher passiert. Da sich das Teil ja in Richtung Landmasse ausbreitet, gibt es irgendwann Kontakt mit der Landmasse. Ab diesem Zeitpunkt baut sich ein natürlicher Staudamm aus Eis auf. Und der staut Wasser an. Denn das Wasser, was vor dem Gletscher rum liegt, hat eine Fließrichtung (auf den Fotos von links nach rechts). Verschließt nun der Eisdamm diesen Fluss, dann steigt der Pegel auf der linken Seite. Und zwar so lange, bis der Druck des Wassers auf den Eisdamm so groß wird, dass das Eis das nicht mehr zurückhalten kann. Dann platzt der Damm. Zerfällt in tausende Bruchteile. Die Überreste davon sieht man auf einzelnen Bildern unten in der Galerie. Das mitzuerleben muss ein Hammer sein. Sooo glücklich war ich dann aber diesmal doch nicht. Man kann ja auch nicht alles haben.

Nach zwei Stunden am Gletscher habe ich das Teil von allen Seiten gesehen. War auf jedem Geländer, habe von überall fotografiert, habe Abbrüche gesehen. Eigentlich das volle Programm gehabt. Und trotzdem stehe ich die letzte Stunde an einem Punkt, starre auf einen Eisbrocken und warte darauf, dass die Spalte endlich so groß ist, dass das Ding runter kracht. Und höre auf jedes kleine Knistern, freue mich über jeden Sonnenstrahl, der auf den Gletscher trifft und hoffe, dass ich es noch miterlebe, wie der Riesen-Eiswürfel abbricht, bevor mein Bus nach El Calafate fährt. Und wie ein Süchtiger vertröste ich mich immer weiter. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich um 13:30 Uhr auf den Weg zum Bus zu machen. Um 13:30 Uhr lasse ich mich auf weitere fünf Minuten und auf weitere und auf weitere. So gegen 13:50 Uhr sage ich mir, dass ich es in 8 Minuten zum Bus schaffen sollte, wenn ich renne. Ich warte und warte und es passiert…nichts. Um 13:53 Uhr laufe ich los. Und jetzt bekomme ich Panik. Um 14:00 Uhr fährt der Bus, haben sie gesagt. Ob wir da sind oder nicht. Ich renne über Treppen und lange Tribünen. Immer nach oben, das macht es nicht viel leichter. Und erreiche das Hochplateau mit unserem Bus um 13:59 Uhr. Außer Atem. Leicht schwitzend. Aber erfolgreich. Ich gehe stolz in den Bus, der Fahrer schaut mich an, wie wenn ich der letzte wäre. Bin ich aber nicht. Wir stehen noch ungefähr 30 Minuten da, weil wir auf ein italienisches Pärchen warten, das 14:00 Uhr eher als Vorschlag betrachtet hatte. Und auch hier lerne ich: stress Dich nicht: et hätt noch immer jot jejange!

Ein bisschen ungemütlich ist mir allerdings schon. Weil ich nämlich um 16:30 Uhr in El Calafate in meinem nächsten Reisebus einsteigen muss. Damit ich am nächsten Tag aufs Schiff steigen kann. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wenn tote Züge Verspätung haben

Weil ein Schiff kurzfristig zwei Tage Verspätung hat, sonne ich mich in einem toten Zug. Nachdem ich Salz vom Boden geleckt habe. Wo? In Bolivien.

Was das bedeutet? Das lest Ihr hier:

Zunächst einmal muss ich zugeben, dass die Überschrift irreführend ist. Ein toter Zug kann natürlich keine Verspätung haben. Und die Verspätung, die Auslöser für diese Geschichte ist, ging auch nicht von einem Zug aus. Auch wenn wir Deutschen das Wort Verspätung ja eigentlich nur im Zusammenhang mit der Deutschen Bahn kennen. Was übrigens vollkommener Blödsinn ist. Die Züge der Deutschen Bahn sind unglaublich pünktlich. Außerhalb Deutschlands scheinen wir Unpünktlichkeit übrigens ungefragt zu akzeptieren. In Thailand beispielsweise werden die Abfahrtszeiten der Züge auf Kreidetafeln gemalt. Und wenn ein Zug Verspätung hat, dann wird einfach die alte Zeit abgewischt und eine neue hingeschrieben. Das scheint dort niemanden zu stören. In China sind die Züge überpünktlich. Dort war meine Erfahrung allerdings, dass sie auch ewig lange im Bahnhof stehen. Durch diese Verlängerung der Haltezeiten ist es natürlich auch einfacher, pünktliche Abfahrtszeiten zu gewährleisten. Man hat ja immer einen Puffer. Das alles sollte man berücksichtigen, wenn man über die Deutsche Bahn meckert. Aber ich schweife ab. Und ich gebe zu, dass Japan in puncto Zug-Pünktlichkeit nochmal einen drauf setzt (letzter Absatz in „Terminologie“). Aber die Asiaten sind, was Züge angeht, eh Freaks. Ich habe einen Taiwanesen im Zug getroffen, der behauptet hat, dass er in über 150 verschiedenen Zügen rund um die Welt mitgefahren ist. Wahnsinn. So, jetzt aber zurück nach Südamerika.

Denn es geht ja um etwas, das tatsächlich Verspätung hatte. Massiv Verspätung sogar. Nicht fünf oder zehn Minuten. Aber von vorn. Ich hatte meine gesamte Reise ja so organisiert, dass es einige Fixpunkte gab, die terminlich fixiert waren und an denen sich die – sonst recht flexible – Planung orientieren musste. Einer davon war das Formel-Eins-Rennen in Shanghai, das sich schlecht flexibel veschieben lassen würde, sollte mir etwas dazwischen kommen. Ein anderer (unter vielen) war die Fahrt mit einem Frachtschiff von Puerto Natales nach Puerto Montt. Auch hier hatte ich natürlich wenig (also keinen) Einfluss auf Datum und/oder Abfahrtszeit. Aber ich hatte einen Termin. Einen Termin, der ziemlich knapp kalkuliert war. Und für den ich ziemlich hetzen musste, um ihn zu erreichen. Ich langweile hier mal nicht mit den Details der Plan-Entstehung, sondern dem Ergebnis: ich musste meinen Gletscher-Besuch am Perito Moreno um 14.00 Uhr abschließen, damit ich um 16.30 Uhr den Bus in El Calafate bekommen würde, der mich dann nach Puerto Natales fährt. Dass mein Bus am Gletscher noch circa eine halbe Stunde steht, weil wir auf ein italienisches Pärchen warten, das sich nicht an die Abfahrtszeit hält und meine Nervosität von Minute zu Minute weiter steigt – geschenkt! Hat alles geklappt, ich erwische meinen Bus und bin um 21.00 Uhr in Puerto Natales. Und am nächsten Morgen um 9.00 Uhr ist dann Boarding fürs Schiff – am frühen Nachmittag dann Abfahrt. Der weitere Verlauf ist lose geplant – sieben Tage später muss ich in Santiago sein, damit ich meinen gebuchten Flug nach Auckland bekomme. Vier Tage soll die Überfahrt dauern. Mir bleiben also noch drei Tage für den Weg von Puerto Montt nach Santiago. Die Route habe ich mir schon mal angeschaut, einige Zwischenziele raus gesucht. Das würde bestimmt ganz interessant werden. Vor allem Valdivia hat mein Interesse geweckt. Ein deutsches Dorf mit Brauerei und Oktoberfest mitten in Chile. Da will ich hin!

Als ich nach einigen Irrungen und einem Zwei-Kilometer-Marsch mit Rucksack in der Dunkelheit von Puerto Natales endlich an meinem Hostel ankomme, freue ich mich auf die Schifffahrt. Ich möchte nur noch schnell schauen, wo ich am nächsten Tag sein muss und wie das Boarding-Prozedere aussehen wird und dann nichts wie ab ins Bett, damit es bald morgen wird! Wale gucken und durch enge Fjorde fahren – geil! Als ich mich in meinen Mail-Account einlogge, habe ich eine Nachricht von der Schifffahrtsgesellschaft. Mein Schiff hat eine leichte Verspätung. Die neue Abfahrtszeit: zwei Tage später! Das ist ein Brett. Die Begründung: schlechtes Wetter in den LETZTEN WOCHEN! Die Verspätung kommt also nicht von heute auf morgen, sondern hat sich anscheinend lange angekündigt. Für die Gesellschaft scheinbar aber kein Grund, mir das frühzeitig mitzuteilen, so dass ich meine Pläne darauf ausrichten könnte. Nein, es reicht anscheinend aus, das 12 Stunden vor Abfahrt zu tun.

Jetzt hatte ich ein Problem. Nicht nur, dass ich nicht wusste, was ich jetzt zwei Tage in Puerto Natales tun sollte (für die Stadt zu viel, für das nahegelegene Torres del Paine zu wenig). Nein, das brachte mich auch in Bedrängnis, meine Pläne für die Weiterreise zu halten. Ursprünglich hatte ich ja drei Tage eingeplant, um von Puerto Montt nach Santiago zu kommen. Durch die Verspätung schrumpfte dieses Fenster auf einen Tag zusammen. Risky business in Chile, wenn man einen 1.600 EUR teuren Flug bekommen möchte.

Glücklicherweise bietet die Gesellschaft einen 100-prozentigen Refund (jaja!) der Tickets an, wenn man jetzt storniert. Ich überlege hin und her und erinnere mich, dass ich bei der ersten Reiseplanung die Atacama-Wüste und Bolivien vollständig ausgeklammert hatte, weil dazu einfach keine Zeit mehr war. Ich wollte ja unbedingt die Schifffahrt machen. Es dauert nicht lange, bis ich entscheide, diese Verspätung als Wink des Schicksals zu betrachten und als Gelegenheit, Atacama und Bolivien aufzunehmen und das Frachtschiff auszuschließen. Ich storniere also das Ticket und buche einen Flug von Punta Arenas in der Nähe von Puerto Natales über Puerto Montt (welch Ironie!) nach Calama. Und freue mich – ich alter Sternegucker – auf den klarsten Nachthimmel dieser Welt.

Auf dem Weg nach Calama muss ich in Santiago zwischenlanden. Und dort drei Stunden zubringen. Da mir langweilig ist, laufe ich durch den Flughafen. Und finde dort einen Stand von M&Ms. An diesem Stand gibt es einen Haufen Fan-Artikel der kleinen Knusper-Schokolade. Und jede Menge Mars, Snickers, Bounty und was der Konzern sonst noch alles herstellt. Es gibt aber noch etwas viel Wichtigeres, was ich entdecke, als ich neben dem Stand auf mein Handy schaue – es gibt WLAN (passenderweise namens M&M1)! Ich begebe mich also zum M&M-Stand, suche mir etwas Lustiges aus (ein Plastik-M&M als Koffer-Badge – classic!) und gehe zur Kasse. Ganz mit leeren Händen will ich ja auch nicht nach dem WLAN-Passwort fragen. Als ich dort dann so stehe, bekomme ich noch Lust auf…na klar!…M&Ms. Ich frage den Typen an der Kasse also nach Passwort und der Süßigkeit. Das Passwort schreibt er mir sofort auf, aber mit den Schokolädchen könne er mich leider nicht versorgen, sagt er. Ich glaube, dass ich ihn falsch verstanden habe und frage noch mal, wo denn die M&Ms seien und dass ich gerne eine Packung hätte. Und er erklärt mir nochmal, dass man hier keine M&Ms kaufen könne. Dass das aber doch ein M&M-Stand sei, entgegne ich. Und er – total sorry! – entgegnet, dass er leider keine habe. Ich könnte etwas aber mal bei dem anderen Stand versuchen – auf der anderen Seite der Säule. Das muss ich genauer wissen und gehe da rüber. Exakt der selbe Stand, exakt dieselben Artikel. M&M-Fanartikel, Kuscheltiere, Schokoriegel und Kaubonbons jeglicher Couleur – aber keine M&Ms. Dafür ein eigenes WLAN-Netz (M&M2).

Mit einem Koffer-Badge, einer Packung M&Ms vom nächstgelegenen Kiosk (hmpf!) und einem Lächeln, das typisch für diese Reise werden soll, geht’s dann zum Gate. Das Lächeln…ist dieses Lächeln, das sich wahrscheinlich jeder Lang-Reisende irgendwann zulegt. Das kommt immer dann, wenn einem Dinge widerfahren, die in der eigenen Kultur total unverständlich wären. Die absurd sind. Irgendwie. Von der Kultur, vom Gegenüber, von wem auch immer. Und man schafft es trotz aller Absurdität und dem Ärger, den es eventuell verursacht, das dennoch als selbstverständlich hinzunehmen. Als unveränderbar. Und man selbst kann gar nicht anders, als es einfach zu akzeptieren. Weil alles andere eh nichts bringt. Dieses Lächeln setze ich auf, wenn in Thailand mal eben ein Zug eine Stunde Verspätung hat. Oder ein Grenzbeamter meine Einreise verweigert (aber das ist eine andere Geschichte). Oder ein Koreaner die Geschichte erzählt, wie sein Land 1950 glorreich die Amerikaner besiegt hat (aber das ist eine andere Geschichte). Oder heute Leute auf dem Bahngleis motzen, weil der ICE von Hamburg nach München fünf Minuten Verspätung hat. Es ist das Lächeln eines reinen und offenen Herzens und es fühlt sich verdammt gut an!

Und das auch, weil man mit diesem Lächeln plötzlich viel offener für alles Glück ist, das einem so zuteil wird. Mein nächster solcher Moment wartete in Calama auf mich. Denn dort sollte die Atacama-Wüsten-Nacht gleich mal halten, was sie verspricht. In Calama wird gerade der Flughafen umgebaut – deswegen gibt es keine direkte Verbindung zwischen Flugzeug und Terminal. Wir steigen also über eine Treppe aus und laufen dann ungefähr einen halben Kilometer über das Flugfeld.

CalamaAirport

 

So sah der Weg aus. Und links war der Nachthimmel. Das Bild ist allerdings vom Rückflug…tagsüber sieht man das einfach besser 😉

 

Ich finde das faszinierend und schaue mich wie ein kleines Kind die ganze Zeit um, will alles aufsaugen und bin begeistert von diesem riesigen, dunklen Himmel, der dicht gespickt ist mit so vielen Sternen, wie ich sie noch nie in meinem Leben vorher gesehen habe. Und während ich in der Gruppe mit hundert anderen Reisegästen da so lang laufe und beseelt bin vom Anblick dieses Sternenhimmels, da jagt eine riesige, grüne Sternschnuppe einmal quer über den Himmel. Wirklich quer. Von ganz rechts oben nach ganz links unten. Mit einem Schweif. Einem richtigen, großen, grünen Schweif. Und so hell, dass das Ganze noch einen Moment auf meinen Augen nachbrennt. Ich laufe übrigens die ganze Zeit. Ich laufe auch weiter, während die Sternschnuppe runter kam. Und jetzt zeige ich stumm mit meinem Arm, in die Richtung, aber keiner der Mitreisenden nimmt Notiz. Ich will irgendwas sagen, bringe aber nichts außer „Adda, da. Ui“ raus. Und stelle langsam fest, dass ich wohl der Einzige bin, der davon fasziniert ist. Für alle anderen muss es wohl selbstverständlich sein. Hier gibt es wohl so viele Sternschnuppen jede Nacht, dass das nix Besonderes war. Denke ich in diesem Moment. Ohne zu wissen, dass das das Größte und Beste war, was ich jemals an einem Nachthimmel erspähen sollte (zumindest ohne Teleskop). Und dass es die anderen wahrscheinlich einfach gar nicht gesehen haben. Manchmal – wenn man mit offenem Herzen durch die Welt geht – widerfahren einem genau diese Dinge. Und sie widerfahren auch nur denen, die ihr Herz geöffnet haben. Die anderen können – wie in diesem Fall – alle zur selben Zeit am selben Ort sein und trotzdem diesen Moment verpassen. Es ist eine wunderbare Werbung dafür, immer und überall Augen und Herz zu öffnen und aufmerksam und wachsam zu sein für diese kleinen Momente, die einem das Leben manchmal schenkt. Denn ab und zu ist unter all den wundervollen kleinen Moment auch mal ein richtig Großer dabei.

Alleine dafür hätte es sich schon gelohnt, die Schiffsreise zu stornieren, aber es sollte ja noch so viel mehr kommen.

Meine Busfahrt von Calama nach San Pedro de Atacama dauert noch mal über zwei Stunden, aber ich bin die ganze Zeit so beseelt von meiner Sternschnuppe, dass die Zeit einfach verfliegt. Und hänge die ganze Zeit am Fenster, schaue auf den Nachthimmel und staune. Auch wenn da „nur“ ganz viele Sterne zu sehen sind.

Als ich in San Pedro ankomme, ist es Mitternacht. Wo ich genau hin muss, kann mir keiner sagen. Ich habe ein paar grobe Anhaltspunkte, aber die Straßen sind dunkel und es leuchten nur wenige Laternen. Nach ein bisschen Suchen finde ich die Adresse aber die Tür ist verschlossen und nichts deutet darauf hin, wann und wie sie sich öffnen ließe. Das Ganze fühlt sich eher nach Wohngegend an, irgendwo recht nah bellt ein Hund und ich kann nicht sagen, dass ich mich sonderlich wohl fühle. An der Tür entdecke ich irgendwann eine Klingel. Ich klingele und hoffe und bete, dass jemand aufmacht. Es dauert quälende fünf Minuten und dann öffnet mir ein junger Mann mit verschlafenem Blick und noch verschlafenerem Schlafanzug die Tür. Wir flüstern und ich teile ihm mit, dass ich vor ein paar Stunden online ein Zimmer gebucht habe. Er murmelt irgendwas, bittet mich herein, zeigt mir kurz den Schlafraum und sagt, dass wir alles Weitere morgen besprechen. Passt für mich.

Am nächsten Morgen stellt er mich dann seinem Kumpel vor und der ist passenderweise Tour-Anbieter. Er stellt mir das gesamte Angebot vor – unter anderem eine viertägige Jeep-Tour nach Uyuni. Ich erinnere mich an einen guten Freund, der mir vor meiner Reise erzählt hatte, dass ich Uyuni auf jeden Fall mitmachen müsse. Ich sagte damals, dass ich das nicht schaffen würde und dass ich eh gehört hätte, dass dort im März Regenzeit wäre und man nicht hin könne. Dieselbe Argumentation bringe ich jetzt bei meinem neuen chilenischen Freund und Tour-Anbieter vor. Er sagt, das wäre Quatsch und ich solle das auf jeden Fall machen. Letztlich sagt mein Bauch „Ja!“, also buche ich die Tour und sitze am nächsten Tag in einem Bus nach Bolivien. Nach meiner Rückfahrt unterhalte ich mich übrigens noch stundenlang mit meinem neuen chilenischen Freund über Literatur und schenke ihm am Schluss als Erinnerung an unser Gespräch mein gerade frisch ausgelesenes Exemplar von „The Devil and Miss Prym“ von Paolo Coelho.

Der Bus bringt uns bis zur Grenze zwischen Chile und Bolivien, die Fahrt dauert etwa eine Stunde und unser Fahrer ist richtig gut gelaunt. Erzählt irgendwas auf Spanisch, singt ein wenig, lacht viel und stört sich nicht daran, dass keiner ihn versteht, weil keiner von uns spanisch spricht. Als wir ankommen, bittet er einen Mitreisenden, doch kurz seinen Thermosbecher zu halten, während er unser Gepäck auslädt. Mein Mitreisender ist neugierig und nimmt einen Schluck und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er das Gesicht verzieht. Er wird mir später sagen, dass das Getränk im Thermosbecher Whiskey war und das wiederum wohl der Grund für die gute Laune unseres Fahrers. Irgendwie gut, dass wir das erst wussten, als wir schon da waren. Naja, noch nicht da, aber auf unserer ersten Zwischenstation, wo wir Fahrzeuge und Land wechseln sollten. An dieser Grenze nämlich sollte uns ein Jeep abholen, der uns dann die nächsten vier Tage durch Bolivien kutschieren würde. Vorher aber müssten wir noch die Grenzformalitäten erledigen. Wir werden also ins Grenzgebäude geführt, wo fachmännisch unsere Pässe gecheckt werden. Die Reisenden aus den anderen Bussen müssen jeweils 30 Dollar Gebühr bezahlen. Alle, die die etwas teurere Tour gebucht haben (Cordillera Travel) sparen sich diese Gebühr. Und haben ihre Mehrkosten damit dann auch schon wieder raus.

Es gibt wohl besser bewachte und modernere Grenzen als jene zwischen Chile und Bolivien bei San Pedro.
Es gibt wohl besser bewachte und modernere Grenzen als jene zwischen Chile und Bolivien bei San Pedro de Atacama.

Im Jeep nehmen neben mir noch ein holländisches Pärchen und zwei Schweizer Mädels Platz. Und unser Fahrer, der sich als Felix vorstellt. Nachdem wir uns alle bekannt gemacht haben, kehrt erstmal Ruhe ein. Irgendwann stellen wir fest, dass niemand von uns spanisch spricht. Blöd daran ist, dass Felix ausschließlich spanisch spricht. Das klingt schwierig, wurde aber echt witzig. Felix erzählt uns bei jeder Sehenswürdigkeit auf Spanisch, was wir da zu sehen bekämen und das eine Schweizer Mädel und ich legen unsere radebrechenden Spanisch-Kenntnisse zusammen und versuchen zu ergründen, was er uns sagen will. Das führt ganz bestimmt zu einer Reihe von Missverständnissen, auf jeden Fall aber zu viel guter Laune und Lachen.

Die Tour an sich ist unglaublich eindrucksvoll. Wir fahren tatsächlich die ganze Zeit nur Auto. Stundenlang. Und stoppen dann hier und da mal für ein paar Minuten, um Fotos zu machen. Das läuft dann ungefähr so: man sitzt im Jeep und fährt quer durch die Wüste. Rechts liegen ein paar Berge, links ein See, voll mit grünem Wasser. Der wurde angekündigt von Felix mit „Esto es la laguna verde!“. Dann halten wir irgendwo an. Felix sagt „Foto! Foto! Viente minutos“. Wir steigen aus, dürfen 20 Minuten Fotos machen, steigen dann wieder ein und dann geht’s weiter durch die Wüste zur nächsten Sehenswürdigkeit. Ein paar davon seht Ihr in der Fotogalerie.

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An den Bildern ist nix bearbeitet - das sah wirklich so aus. Und das romantische, grau-grüne Zeug da am See ist Flamingo-Scheiße.

Spannend wird die ganze Geschichte, als wir an unserer ersten Übernachtungsmöglichkeit ankommen. Es handelt sich um eine Art Herberge an der Laguna Colorada, dem bunten See. Herberge ist eigentlich schon zu viel gesagt. Es ist ein Haus, immerhin aus Steinen. Mit einer Küche, Zimmern, die durch Vorhänge vom Flur getrennt sind. Fenstern mit Fensterläden, aber ohne Scheiben. Isolation, Dämmstoff, irgendetwas, das Außen und Innen wirklich voneinander trennt? Fehlanzeige! Und da ist es wieder, dieses Lächeln!

Das war also das romantische Plätzchen, in dem wir nächtigen durften und das uns vor der Bitterkälte draußen beschützen sollten.
Das war also das romantische Plätzchen, in dem wir nächtigen durften und das uns vor der Bitterkälte draußen beschützen sollte.

In dieser Herberge werden wir mit den Reisenden aus den anderen Jeeps zusammen geworfen. Ein Phänomen, das immer wieder auftritt, wenn wir irgendwo anhalten. Denn alle Jeeps fahren natürlich dieselben Routen, dieselben Sehenswürdigkeiten ab. Und jedes Mal, wenn wir anhalten, um Fotos zu machen, steht da schon ein anderer Jeep oder kommt gerade ein anderer Jeep angerollt und wir treffen die anderen Reisenden, tauschen uns aus und verabschieden uns bis zum nächsten Stopp.

In der Herberge haben wir nun also etwas mehr Zeit, um uns kennen zu lernen. Und nach dem üblichen „Wer bist Du? Von wo kommst Du?“ fliegen recht bald Infos über unsere Tour hin und her. So dass dann irgendwann auch tatsächlich jedem bewusst wird, dass an dieser Übernachtung drei Dinge spannend werden: 1) wir befinden uns auf 4.800 Metern überm Meeresspiegel. 2) Hier ist es tagsüber bis zu 40 Grad warm, aber nachts kühlt es ganz gerne auf minus zehn Grad ab. 3) Man kann sich ein paar Decken leihen, wenn’s einem im Schlafsack zu kalt sein sollte.

Die Höhenkrankheit ist ein seltsames Phänomen, über das noch einiges ungeklärt ist. Es gibt ein paar Hinweise dazu vom Auswärtigen Amt, die helfen sollen, sich damit zurecht zu finden. Zentrale Aussage: es erwischt ungefähr einen von zehn, man weiß nicht, wieso und wen es trifft, es ist unabhängig von Alter und körperlicher Konstitution. Es kann Dich also treffen, obwohl Du komplett fit bist und es kann an Dir vorüber gehen, selbst wenn Du schwerer Raucher und 70 bist. Den Meisten in unserer Gruppe geht es unverändert gut. Mir ist etwas schwummrig, den weiblichen Teil des holländischen Pärchens hat es vollkommen umgehauen. Sie wird noch vor dem Abendessen ins Bett gebracht, ihr Freund gibt ihr eine Tablette, sie kotzt. Und damit erwischt es genau die Person, von der man es eigentlich am Wenigsten gedacht hätte. Denn sportlich war die echt topfit. Aber sie scheint anfällig dafür zu sein, erzählt ihr Freund. Vor einem Jahr seien sie zusammen auf den Kilimandscharo gestiegen und sie hätte die selben Probleme gehabt. Konditionell kein Thema. Der Aufstieg hat ihr überhaupt nichts ausgemacht. Aber abends hat sie die Höhe nieder gestreckt. Und am nächsten Tag ist sie munter aufgestanden und weiter marschiert. Und das tat sie auch diesmal. Ob’s an den Tabletten lag, daran, dass sie früh und ausreichend schlafen ging oder an den Koka-Blättern, die sie von unserem bolivianischen Tour-Führer verabreicht bekam, bleibt ungeklärt. Ist aber auch egal.

Mir ist weiter schwummrig, aber ich setze mich mit den anderen an einen Tisch. Wir wollen Karten spielen und uns noch ein wenig unterhalten. Einer hat Bier mitgebracht und die Dosen stehen jetzt auf dem Tisch. Ob ich auch eines möchte? Ich zögere. Ein Holländer erklärt mir, dass ich Deutscher sei und ein Bier nicht ablehnen könne. Ich sehe mich an meiner Ehre gepackt und öffne die Dose. Nach einer Dreiviertelstunde habe ich ungefähr die Hälfte der Dose geleert und fühle mich, wie wenn ich ein ganzes Fass getrunken hätte. Ein Fass, in dem dazu noch drei Schlaftabletten aufgelöst wurden. Ich murmele und lalle, dass mir Höhe und Bier wohl doch nicht so gut tun und verabschiede mich ins Bett. Als ich vom Tisch aufstehe, trifft es mich umso härter. Wie wenn mir ein unsichtbarer Goliath volles Mett eine mitten ins Hirn zimmert. Es haut mich einfach um. Allerdings irgendwie nur mental. Körperlich schaffe ich es irgendwie noch, in mein Zimmer zu laufen, mich auszuziehen und mich in meinen Schlafsack zu mummeln. Ich bekomme es sogar hin, noch drei Decken auf meinen Schlafsack zu legen, weil es nachts ja bestimmt kalt werden würde. Aber das alles passiert wie in Trance. Und ich bin sehr froh, als ich endlich liege, die Augen zumachen kann und sofort komplett abgeschaltet bin.

Es ist gerade in großer Höhe wichtig, viel zu trinken. Weil mir bewusst war, dass ich meinem Körper maximale Strapazen zumute, halte ich mich an diesen Rat. Schließlich bin ich gerade innerhalb von 48 Stunden von 0 Meter überm Meeresspiegel auf 4.800 geklettert. Das ist schon eine ganze Menge. Darum habe ich auch drei Fünf-Liter-Container Wasser dabei. Den ersten habe ich am ersten Tag schon fast gänzlich geleert. Und das macht sich bemerkbar in einem Moment, in dem das gar keinen Spaß macht. Nämlich als ich um 2.00 Uhr nachts aufwache und aufs Klo muss. Ich liege in meinem Schlafsack, auf mir und dem Schlafsack liegen drei dicke Wolldecken. Mein Kopf ist eingewickelt in die Kapuze meiner Fleece-Jacke und die wiederum in das Kopfteil meines Schlafsacks. So richtig gucken also nur meine Nase und mein Mund aus dem Teil raus. Und aus beidem bildet mein Atem sofort dicke Dampfschwaden. Ich weiß, wie unglaublich saukalt es überall da ist, wo nichts bedeckt ist. Und ich weiß, dass ich da nicht raus will. Dass ich einfach hier liegen bleiben will. Nicht bewegen. Nichts von meiner gemütlichen Wärme aufgeben. Einfach vergessen, dass ich pinkeln muss. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Aber meine Blase sagt Nein. Meine Blase sagt, dass sie das nicht mit sich machen lässt. Und dass ich mich gefälligst aufraffen und aufs Klo gehen soll.

Wir kämpfen ungefähr eine halbe Stunde miteinander, meine Blase und ich. Erst, als sie drastisch wird und mir androht, dass sie sich auch einfach hier in den Schlafsack entleeren kann, gebe ich nach. Ich glaube, die fatalistische Überwindung, die in diesem Moment nötig ist, um aufzustehen, ist mit dem Gefühl kurz vor einem Bungee-Sprung oder dem Laufen über glühende Kohlen vergleichbar. Man weiß, dass es gleich schlimm wird, aber man kann nichts dagegen tun, man muss da jetzt irgendwie durch. Vielleicht auch ein bisschen wie beim Zahnarzt. Also Zähne zusammen beißen und raus. Bibbernd, aber zielstrebig, marschiere ich den Gang nach unten, verrichte mein Geschäft und renne zurück in meinen Schlafsack. Ich habe mir sogar noch die Hände gewaschen! Ganz pflichtbewusst. Der Vorgang hat wahrscheinlich nur 0,2 Millisekunden gedauert und das eisekalte Wasser hat mir meine Finger beinahe erstarren lassen, aber das musste sein. Mein Schlafsack ist immer noch ein ganz kleines bisschen warm. Und es fühlt sich so gut an, zurück zu sein. Erleichtert. Die Sekunden und Minuten dazwischen allerdings waren die Hölle. Und trotzdem muss ich wieder lächeln, als ich mich komplett eingemummelt habe und die Dampfschwaden sehe, die aus Nase und Mund kriechen. Irgendwie ist es halt dann doch ein geiles Gefühl, so ein kleines Abenteuer zu machen.

Als wir uns am nächsten Morgen (übrigens alle topfit!) aufmachen, weiter zu reisen, sehen wir, wie Felix kopfüber im Motorraum unseres Jeeps hängt.

Kein Bild, das man 4.800 Meter über dem Meeresspiegel weit fernab jeglicher Zivilisation (außer dieser Herberge) gerne sehen möchte.
Kein Bild, das man 4.800 Meter über dem Meeresspiegel weit fernab jeglicher Zivilisation gerne sehen möchte. Und ich meine damit nicht Ralf.

Auf unsere Frage, was kaputt sei, sagt er „no, nothing broken, everything fine!“ und strahlt uns an und reckt den Daumen in die Höhe. Danach verschwindet er wieder im Motorraum und flucht. Nach ein paar Minuten klappt er dann den Deckel runter, grinst uns wieder an und sagt, dass wir losfahren können. Was wir auch tun. Und weiter geht’s mit unwirklichen Landschaften, endlosen Weiten, Wüste, Bergen, Seen, heißen Quellen, Geysiren und bunten Felsen. Die irgendwie mit jedem Tag vertrauter werden. Aber trotzdem so krass anders sind als alles was man kennt. Wir kommen an einer Felsformation vorbei, die aus einigen heißen Quellen besteht. Überall steigt Dampf auf und die Felsen haben sich in allen möglichen Farben verfärbt. Da liegen blaue, rote, grüne, gelbe, orangene, metallisch schimmernde, silbrige Brocken rum – es sieht aus, wie wenn ein Aquarell-Maler seinen Farbkasten versehentlich auf die Steine hat fallen lassen. Mein Unterkiefer erliegt der Schwerkraft, mein Mund steht offen und statt meine Kamera zu zücken, genieße ich einfach den Anblick. Und denke, dass wir jetzt eh jeden Moment anhalten und von Felix aus dem Auto gescheucht werden, um zwanzig Minuten Fotos machen zu dürfen. Stattdessen fährt er einfach weiter und eine Minute später sind die Felsen verschwunden. Und alles was mir bleibt, ist das Bild in meinem Kopf. Cool für mich, schade für Euch. Aber so ist es eben manchmal.

Später am Tag beginnt die Wüste um uns, immer heller zu werden. Bis sie schließlich fast weiß ist. Aber nicht ganz, eher gräulich. Mit einer Straße in der Mitte. Ein bisschen wie Schnee in der Großstadt.

Ein Dreckstreifen mitten in der Salzwüste.

Hier und da haben sich Pfützen auf der grau-weißen Ebene gebildet. In diesen Pfützen spiegelt sich in der Nähe der umliegende weiße Boden. In der Ferne spiegeln sich die weit entfernten Berge und bilden einen wirklich surrealistischen Horizont.

Hier wurde mir klar, wie so eine Wüste so was wie eine Fata Morgana produzieren kann.
Hier wurde mir klar, wie so eine Wüste so was wie eine Fata Morgana produzieren kann.

So geht das ungefähr zehn, vielleicht auch fünfzehn Minuten. Dann wird der gräulich-weiße Untergrund immer weißer bis er schließlich schneeweiß ist. Nein, das ist untertrieben. Hellweiß, blendend weiß, Dr-Best-Zähne-weiß. Und er ist auf einmal überall. Überall ist nur noch weiß. Egal, in welche Richtung man schaut. Alles ist weiß. Irgendwo weit weit weg am Horizont sieht man noch ein paar Berge. Noch. Nach ein paar Minuten sind auch die verschwunden und es ist alles weiß. Bis es irgendwann in weiter Ferne, da, wo der Himmel anfängt, blau wird. Das ist sie also, die Salzwüste von Uyuni. Der Ort, an dem man trickreiche Bilder mit Perspektive machen kann, wenn man’s drauf hat.

Ralf ist halt einfach der Größte!
Ralf ist halt einfach der Größte!
Weiß. Und endlos.
Weiß. Und endlos.

Nach der Salzwüste ging’s dann auch noch in die Stadt. Vorher aber stand als letzte Station vor der Ankunft in Uyuni der „Cementerio de trenes“ auf dem Programm. Der Begriff fiel schon auf der Fahrt mehrfach und ich hatte mir nie großartige Gedanken darüber gemacht. Ich dachte an eine Art Kopfbahnhof oder so was. Hatte aber nie damit gerechnet, dass damit ein echter Friedhof gemeint sein könnte. Aber es war einer. Ein Friedhof für Züge. Ein Ort, an den alte, ausgediente Züge zum Sterben geschickt wurden. Und da standen sie nun. In der prallen bolivianischen Sonne. Nachts bei Minusgraden. Und rosteten vor sich hin. Majestätische, metallene Rost-Skelette. Ein morbider, aber wunderschöner Anblick.

Yippieh! Tote Züge!
Yippieh! Tote Züge!

Nach ein paar Stunden Aufenthalt in Uyuni steht dann die Rückreise Richtung Chile an. Allerdings nicht, ohne vorher noch einmal die Leute aus dem anderen Jeep zu treffen. Die hatten wir beim Zugfriedhof nicht getroffen, fiel mir jetzt auf. Und sie erklären mir wieso. Wir unterhalten uns über eine Polizeikontrolle und ich erinnere mich, dass wir vor dem Friedhof kurz an einem Motorrad gehalten hatten. Neben dem Motorrad stand ein Polizist, der die Papiere von Felix sehen wollte und uns nach ein paar kritischen Blicken durchgewunken hat. Bei den anderen war das anscheinend nicht so einfach. Ich bekomme erzählt, dass bei ihrem Jeep schon weit vorher Probleme mit den Bremsen aufgetaucht seien. Anscheinend war nicht mehr genug Bremsflüssigkeit drin gewesen. Der Fahrer hat dann einfach Cola in die Bremsanlage gekippt. Das hat anscheinend nicht so gut funktioniert wie gedacht. Auf jeden Fall müssen sie wohl an dem Polizisten vorbei gerauscht sein, der Fahrer hat das Fenster herunter gekurbelt und aus dem Fenster gerufen, dass die Bremsen nicht funktionieren. Die waren also froh, irgendwie lebend in Uyuni angekommen zu sein. Für den Zugfriedhof war da kein Platz mehr. Schade. Aber irgendwie auch ne coole Geschichte.

Bei der Rückfahrt nach San Pedro sitzen nur noch das holländische Pärchen, Felix und ich im Jeep. Die anderen reisen eigenständig in andere Richtungen weiter. Bei der Rückfahrt erfahre ich, dass die beiden seit Jahren zusammen sind und beide als Hirnchirurgen arbeiten. Wir übernachten in einem kleinen Dorf und halten vor einer großen Mauer, die aussieht, wie ein in die Jahre gekommenes Gefängnis. Keine Fenster, heraus gebrochene Türen und ein großes Metalltor, das den Eingang versperrt. Felix versucht, Kontakt herzustellen, aber keiner öffnet. Also fahren wir weiter durchs Dorf und finden in der hereinbrechenden Dunkelheit tatsächlich ein kleines Häuschen, in dem wir uns zimmertechnisch versorgen lassen können. Ralf (der männliche Part des holländischen Pärchens) und ich beschließen, noch ein paar Minuten vor die Tür zu gehen und erklimmen einen kleinen Hügel am Stadtrand. Und in dem Moment, in dem wir auf diesem Hügel stehen, offenbart sich einer der faszinierendsten Sonnenuntergänge, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Für ein paar Minuten. Dann ist er wieder weg.

Das Foto gibt nur ansatzweise die satten Farben wieder, die ich in diesem Moment sehen durfte.
Das Foto gibt nur ansatzweise die satten Farben wieder, die ich in diesem Moment erleben durfte.

Wir kommen am nächsten Abend zum Abendessen in San Pedro an. Für den Tag danach habe ich einen Flieger nach Santiago gebucht. Blöderweise entdecke ich in San Pedro noch zwei Dinge, die ich gerne machen möchte. Zum einen Sterne gucken mit einem Astronomen vor Ort. Zum anderen die Geysir-Tour, die natürlich um 4.30 Uhr in der Früh startet. Und Sterne gucken ist spätabends. Ich beschließe, kurz zwei Stunden zu schlafen, dann um 22.00 Uhr zum Sterne gucken zu gehen, danach noch mal zwei Stunden zu schlafen, um dann um 4.00 Uhr fit für die Geysire zu sein. Und ich schaffe es tatsächlich, alles mitzuerleben. Und es lohnt sich tatsächlich. Ich habe die Stürme auf der Oberfläche des Jupiter gesehen (wenn auch nur schemenhaft), den Mars recht deutlich, die Mondkrater noch deutlicher.

Durch ein Teleskop zu fotografieren ist schwerer als man denkt. Für dieses fragmenthafte Bild wurde ich noch echt abgefeiert. Im Teleskop selbst konnte man natürlich den ganzen Mond erkennen.
Durch ein Teleskop zu fotografieren ist schwerer als man denkt. Für dieses fragmenthafte Bild wurde ich noch echt abgefeiert. Im Teleskop selbst konnte man natürlich den ganzen Mond erkennen.

Und die Ringe des Saturn. In echt. Die Ringe. Des wirklich echten Saturn. Der 1,4 Milliarden Kilometer von uns entfernt ist. Durch ein Teleskop. Nicht auf irgendeinem Computer-Bild. 1,4 Milliarden Kilometer! Das ist 35.000 Mal um die Erde rum. Oder mehr als eine Million Mal von Hamburg nach München und zurück fahren. Das Licht, das ich durch dieses Teleskop gesehen habe, war 77 Minuten lang unterwegs, bis es mein Auge erreicht hat. Das ist so unvorstellbar. Und so toll.

Und auch die Geysir-Tour ist toll. Wenn auch mit einigem Unbill behaftet. Natürlich ist es morgens um 4.30 Uhr bitterkalt. Ich bin dickst eingepackt in alle möglichen Schichten (denn später würde es ja auch wieder wärmer werden – also flexibel kleiden!). Und wenn man sich so dick eingepackt bewegt, dann bleibt man ja auch warm. Wieso? Weil wärmende Kleidung so funktioniert, dass sie die Körperwärme einfängt, nicht raus lässt, quasi zurück strahlt. Produziert der Körper also Wärme, wird man gleich doppelt gewärmt. Von innen und von „außen“, also von der Innenseite der Kleidung. So lange man im Bus sitzt, ist einem allerdings kalt. Es sei denn, der Bus ist beheizt. Wovon man ja üblicherweise ausgehen würde bei den modernen Dingern, mit denen die uns da rumkutschiert haben. Die Lüftung läuft auch – allerdings auf Klimaanlagen-Modus und diese im Maximum. Als ich bei einem Pausenhalt nach vorne zum Busfahrer gehe, sehe ich, dass die Klimaanlage auf 14 Grad eingestellt ist. 14 GRAD!!! Mit meiner entsprechenden Übermüdung bekomme ich nur ein geknurrtes „Wieso müsst Ihr Südamerikaner Eure Klimaanlagen immer auf Nordpol stellen? Um allen zu zeigen, wie stark sie ist?“. Die Antwort hätte mich nicht mehr verblüffen können: „Öhm…nein…weil es draußen kalt ist, müssen wir die Temperatur im Bus angleichen, damit sich Euer Körper dran gewöhnt“. In einer Blitzsekunde schießt mir das Bedürfnis durch den Kopf, diesen Bullshit zu widerlegen. Dann aber gewinnen Müdigkeit, Resignation und Fassungslosigkeit die Oberhand und ich steige einfach wortlos aus. Und lasse mich von der beeindruckenden Urgewalt der Geysire beeindrucken. Die so erleben zu können ist übrigens der Grund für den frühen Aufbruch. Die Touren wollen am Geysirfeld sein, wenn die Nacht am Kältesten ist. Und das ist sie immer kurz vor Anbruch der Dämmerung. Und wenn es richtig klirrend kalt ist, dann machen die Geysire am meisten Dampf. Und das sieht dann so beeindruckend aus wie auf dem Foto.

Okay, kurz vor Sonnenuntergang war das noch mal ne Nummer imposanter.
Okay, kurz vor Sonnenaufgang war das noch mal ne Nummer imposanter. Aber da war’s halt auch dunkel. Und im Dunkeln ist schwer mit Fotos machen.

Am frühen Nachmittag geht’s dann zurück nach Santiago. Und Valparaiso. Und dann nach Neuseeland. Was dort passiert, erfahrt ihr in einer anderen Geschichte.

Für diese Geschichte bleibt festzuhalten, dass ich das erste Mal vollständig nach Bauchgefühl entschieden habe. Dass mein Bauch immer ein wenig traurig war, dass Uyuni eigentlich von Anfang an nicht im Plan war. Und dann um so glücklicher, als der Zufall (oder das Schicksal?) es wieder auf den Plan gesetzt hat. Es verbleibt die Lehre, dass das Leben einem immer wieder viele, unzählige kleine Gelegenheiten bietet, eben jenes Leben wunderschön zu gestalten. Was wir lernen müssen, ist, diese Gelegenheiten zu erkennen und im richtigen Moment unser Herz so zu öffnen, dass wir diese Momente auch mit vollem Bewusstsein erleben können. Alleine diesen Zustand einmal erleben zu dürfen, ist ein großes Geschenk. Dann so beschenkt zu werden, wie in diesen vier Tagen, ist unbezahlbar. Wie so vieles auf dieser Reise.

Oh my god, I can’t believe it… (coming soon)

18.327 Kilometer liegen zwischen Hamburg und Christchurch. Nur knapp tausend Kilometer mehr liegen zwischen Nord- und Südpol (19.353km – Quelle: www.luftlinie.org). Ich für meinen Teil bin mir recht sicher, dass ich nie mehr in meinem Leben so weit entfernt von meinem Zuhause sein werde. Dass ich irgendwie trotzdem ganz heimisch war, wundert keinen, der sich schon mal in Neuseeland aufgehalten hat.

Mittelerde, Milford Sound und ein Mazda – alles mit M in der Geschichte über Meuseeland (autsch!).

Hoch hinaus zur inneren Mitte (coming soon)

Manchmal muss man seinen Standpunkt wechseln, um die Welt mit neuen Augen zu sehen. Ob man dazu mit dem Hubschrauber in einen Vulkan fliegen muss, ist fraglich. Ob man ein Buch mitten in der pulsierenden Party-Hölle von Kuta kaufen muss, ebenso. Und ganz sicher ist es nicht notwendig, sich eine Glatze scheren zu lassen. Aber warum eigentlich nicht?

Die Geschichte von alledem – bald hier.

 

Geschichten aus 1001er Macht (coming soon)

In Brunei bezahlen die Menschen keine Steuern, sondern bekommen Geld vom Staat. Weil der Scheich so unglaublich reich ist und diesen Reichtum mit seinem Volk teilen will. Sind die Einwohner von Brunei also glückliche Menschen? Teils-teils. Denn auch Geld hat seinen Preis. Die Geschichte aus 1001er Macht ist außerdem die Geschichte von einem der seltsamsten Menschen dieser Reise, einem der interessantesten Menschen dieser Reise und enthält einen kleinen Ausflug zur Bigotterie von Religion und Mensch.

Bald hier.

 

Im Auge des Sturms herrscht Ruhe

Wer dachte, dass in China alles nur Maßregelung und Kontrolle ist, der wundert sich in dieser Geschichte genau so sehr wie ich. Es ist eine Geschichte über Freiheit und besondere Momente. Die manchmal nur wahr werden, wenn viele Faktoren zusammen spielen. Und man in sich selbst ruht.

Bis Ihr dahin kommt, müsst Ihr aber auch ein wenig in Euch selbst ruhen. Denn erstmal erzähle ich, wie ich überhaupt dahin gekommen bin.

Shanghai hatte ich im Jahr 2009 schon einmal im Rahmen einer Summer School meiner damaligen Uni besucht. Zwei ganze Wochen waren wir dort und haben uns ein ganz anständiges Bild von der Stadt verschafft. Das klingt vermessen im Angesicht einer 23-Millionen-Einwohner-Metropole, scheint von der Wahrheit aber gar nicht so weit entfernt zu sein. Denn bei meinem zweiten  Besuch zog es mich lustigerweise genau an die Orte, die ich beim ersten Mal schon besucht hatte. Manchmal wollte ich das, meistens nicht. Dennoch war es schön. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der Grund, weswegen ich Shanghai in meine Reiseplanung aufgenommen habe, war allerdings ein ganz anderer. Ich wollte ein Formel1-Rennen sehen. Und die beiden einzigen Formel1-Rennen, die zu meiner groben Route gepasst haben, waren Ende März in Malaysia oder eben Shanghai Ende April. Für das Rennen in Malaysia hätte ich Neuseeland opfern müssen und Shanghai schien sich als guter Ausgangspunkt für die Weiterreise nach Tibet zu eignen. Also fiel die Wahl nicht schwer.

Urigerweise hatte ich ja die Hoffnung, dass Tickets für einen F1-GrandPrix am anderen Ende der Welt eher günstiger sein werden als in unseren Gefilden. War aber nicht so. Da es mir bei dieser Reise ja aufgrund glücklicher Umstände nicht aufs Geld ankommen sollte, wollte ich dennoch nicht sparsam sein. Und kaufte mir so Tickets für die Haupttribüne. Direkt am Boxenausgang auf der Start-Ziel-Gerade. Mit einem phänomenalen Überblick, der ja so typisch ist für diese neuen Rennstrecken. Von meinem Platz aus konnte ich ungefähr die Hälfte der ganzen Strecke überblicken. Ob das nun tatasächlich 350 EUR wert ist – darüber kann man streiten. Regelmäßig werde ich das nicht machen. Aber für dieses eine Mal war das schon toll.

Viel besser kann man nicht sitzen, wenn man sich so ein Rennen anschaut. Finde ich zumindest. Was nicht so richtig deutlich wird, ist allerdings, wieviel man von der Strecke wirklich sehen kann. Das könnt Ihr Euch unten in der Galerie noch mal näher angucken.
Viel besser kann man nicht sitzen, wenn man sich so ein Rennen anschaut. Finde ich zumindest. Was nicht so richtig deutlich wird, ist allerdings, wieviel man von der Strecke wirklich sehen kann. Das könnt Ihr Euch unten in der Galerie noch mal näher angucken.

 Sportlich gab das Rennen nicht wirklich viel her. Immerhin hat es samstags beim Qualifying geregnet – so habe ich auch mal miterlebt, wie das aussieht, wenn die Autos einen Gischtschleier hinter sich her ziehen. Faszinierend ist und bleibt, live zu erleben, wie schnell diese Autos beschleunigen. Das wird im Fernsehen nie so wirklich klar. Wenn man aber daneben steht, einen fixen Standpunkt hat und diese Teile an einem vorüber rauschen – dann wird auch irgendwie klar, wieso das so ein unglaublich anspruchsvoller Sport ist.

Während der Hinfahrt zum Qualifying am Samstag mache ich eine nette Begegnung. In der U-Bahn lerne ich ein junges, deutsches Mädchen kennen, das es schafft, mich innerhalb weniger Minuten zu beeindrucken. Mit gerade mal 19 Jahren studiert sie in diesem Millionen-Moloch. Direkt nach ihrem Abitur im Vorjahr ist sie mit ihren Eltern zusammen nach Shanghai gezogen. Sie lernt seit sechs Jahren chinesisch und fühlt sich in dieser Riesen-Stadt tatsächlich zuhause. Über ihre Zukunft spricht sie abgeklärt. Aber in einem positiven Sinn. Ihre nächsten Jahre hat sie nicht durchgeplant, weiß aber genau, was sie will und ungefähr, wie das funktionieren soll. Dabei behält sie sich aber dennoch eine erfrischende Offenheit gegenüber allen möglichen und unmöglichen Veränderungen. Sie erzählt, dass sie auch auf dem Weg zum Formel 1 Grand Prix ist und ich freue mich, eine so tolle Person für die nächste Stunde bei mir wähnen zu dürfen. So lange nämlich (und länger) braucht die U-Bahn von der Innenstadt bis zur Rennstrecke. Doch so schnell wie das Gespräch begann, so schnell, wie sie mich beeindruckte, so schnell ist sie auch wieder verschwunden. Sie müsse hier raus, weil sie sich noch mit ihrem Freund trifft. Sagt’s, verabschiedet sich kurz und ist genauso schnell weg wie sie gekommen war. Der Eindruck aber bleibt. Bis heute. Schade, dass ich sie nicht näher kennenlernen durfte.

Wie gesagt: sportlich ist das Rennen schnell erzählt. Nach dem Start verliert Nico Rosberg ein paar Positionen und arbeitet sich von Platz 7 aus zurück hinter Lewis Hamilton. Der Brite wiederum fährt einen sicheren Start-Ziel-Sieg ein. In den ersten zwei Dritteln des Rennens gibt es somit – nicht nur von Rosberg – ein paar spannende Positionskämpfe und Überholmanöver; für die letzten Runden hat sich das Feld dann aber irgendwann sortiert und fährt ohne jegliche Zwischenfälle einem ruhigen Ende entgegen.

Interessant ist übrigens, wie sich die F1-Autos heutzutage anhören. Als ich vor Jahren zum letzten Mal bei einem Grand Prix war, waren die Teile noch deutlich lauter. Als ich 2000 am Hockenheimring direkt am Zaun neben den startenden Autos stehe, habe ich das Gefühl, die Erde bebt. Kein Wunder. Damals waren die Motoren größer und es gab keinen Elektroantrieb. Ein Formel1-Auto von heute wird nicht mehr nur vom Verbrenner-Motor gespeist, sondern muss verschiedene Antriebstechnologien miteinander kombinieren. Damit möchte die Formel1 einen Forschungsanreiz für hybride Antriebstechnologien bieten. Das kann man jetzt gut oder heuchlerisch finden – darum soll’s hier aber nicht gehen. Unten mal ein Bild aus dem offiziellen F1-Magazin von der Rennstrecke, in dem illustriert wird, wie die neuen „Power Units“ aussehen. Außerdem ein paar Eindrücke von der Tribüne.

Shanghai - Power Unit Shanghai - Blick nach links Shanghai - Boxengasse Shanghai - Streckenpanorama
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Die Ausfahrt der Boxengasse hatte ich direkt vor der Nase. Super Gelegenheit für Fotos, wenn die Autos da standen.

 Jetzt ist aber wirklich genug mit dem sportlichen Teil. Denn wahrscheinlich seid Ihr ja nicht hier, weil Ihr irgendwas über die Formel 1 lesen wolltet, sondern weil Ihr wissen wolltet, wie eigentlich dieses Bild zustande gekommen ist. Und was dieses Gefasel von Freiheit im Anreißer soll. Sollt Ihr haben.

Wie Ihr auf dem Foto oben erkennen könnt, ist mein Platz ganz am Ende der Start-und-Ziel-Gerade. Das Podest, auf dem die besten drei Fahrer geehrt werden und wo sie sich gegenseitig mit Champagner bespritzen, steht allerdings genau am anderen Ende. Das finde ich ein bisschen schade, da ich gehofft hatte, auch etwas von der Siegerehrung mitzubekommen. Während der letzten Runden braut sich also in meinem Kopf der Gedanke zusammen, dass ich ja nicht an meinen Sitz gefesselt bin. Ich nehme mir also vor, dass ich – im Moment, in dem die Zielflagge fällt – die Beine unter die Hand nehme und ans andere Ende der Gerade renne. Natürlich nicht über die Tribüne sondern dahinter. Einmal ein paar Treppen runter, dann immer immer weiter geradeaus und irgendwo am anderen Ende wieder hoch. Und vielleicht habe ich ja Glück und erhasche noch einen guten Blick.

Das Glück ist mit den Tüchtigen. Besser hätte ich den Platz nicht erwischen können. Die Hände hab ich mal drin gelassen, damit Ihr die Entfernung auch realistisch einschätzen könnt. Natürlich hab ich hier zuhause auch noch eine ganze Menge tolle, gezoomte Fotos.
Das Glück ist mit den Tüchtigen. Besser hätte ich den Platz nicht erwischen können. Die Hände hab ich mal drin gelassen, damit Ihr die Entfernung auch realistisch einschätzen könnt. Natürlich hab ich hier zuhause auch noch eine ganze Menge tolle, gezoomte Fotos.

Und so werde ich während dieser Siegerehrung zumindest für mich persönlich auch zu einem kleinen Sieger. Denn ich habe es geschafft, mir einen Platz zu sichern, der besser fast nicht hätte sein können. Weil mein Bauch mir gesagt hat: „renn doch einfach“ und ich auf ihn gehört habe. Und einfach losgerannt bin. Wieso denn auch nicht? Das Schlimmste, was hätte passieren können, wäre gewesen, dass ich nicht rein komme und nichts von der Ehrung sehe. Das wäre ungefähr dasselbe Ergebnis gewesen, wie wenn ich auf meinem Platz geblieben wäre. Also: alles richtig gemacht!

Die Siegerehrung ist irgendwann vorüber – es geht ja alles mal vorbei. Beim Blick über meine Schulter auf die Rückseite der Tribünen stelle ich fest, dass es unten ein riesiges Menschengedränge gibt. Ganz normal, wenn bei Großveranstaltungen am Ende alle auf einmal nach Hause wollen. Kennt man ja von Fußballstadien, Konzerten…allem eben, wo viele Menschen Zuschauer sind. Nun habe ich ja bereits oben angemerkt, dass der Shanghai International Circuit sehr weit vom Stadtzentrum entfernt ist. Zwar ist die Station direkt am Ausgang der Haupttribüne und damit sehr gut angebunden, die Fahrzeit ist aber monumental. Ich glaube, es waren insgesamt ungefähr 1 Stunde und 20 Minuten, die man in der Bahn verbringen musste, bis man wieder in der Innenstadt war.

Als ich also so über meine Schulter schaue und diese Menschenmassen sehe, denke ich mir: „Ui, die U-Bahnen werden jetzt sicherlich vollkommen überfüllt sein. Da kann ich’s auch erstmal gemütlich angehen lassen.“

Also bleibe ich einfach auf der Tribüne, setze mich noch mal für einen Moment, lasse die Leute an mir vorüber ziehen und betrachte die Strecke. Und dann sehe ich auf der Start-Ziel-Geraden einzelne Menschen herum laufen. Ich erinnere mich an Bilder von verschiedenen Rennstrecken in der Welt und weiß, dass es in manchen Teilen Usus ist, dass die Fans nach dem Rennen die Strecke stürmen. Eigentlich ist das aber vom Veranstalter aber bis auf wenige Ausnahmen nicht gewollt und wo die Sicherheitskräfte restriktiver sind, da wird auch durchgegriffen und die Leute fern gehalten. Hier scheinen es einige geschafft zu haben und die laufen jetzt auf der Strecke rum. Will ich das auch? Naja, zumindest gucken, wo’s lang geht, kostet ja nix.

Ich bewege mich also langsam von der Tribüne weg, nutze das offene Treppenhaus aber, um ausfindig zu machen, ob es irgendwo Bewegungen entgegen des Abreisestroms gibt. Und entdecke tatsächlich ein paar Versprengte, die sich über einen Hügel auf den Weg zu einer anderen Tribüne machen. Und hinter dieser Tribüne wiederum erkenne ich, dass immer mehr Menschen auf der Strecke Richtung Start-Ziel-Gerade laufen.

Es ging ganz schön steil nach unten, aber trotzdem drängelt keiner. Hier wird angestanden – very british deep in China!
Es ging ganz schön steil nach unten, aber trotzdem drängelt keiner. Hier wird angestanden – very british deep in China!

Entgegen des Stroms mache ich mich also auf zu dieser Tribüne. Die Zuschauertore sind allerdings nicht zugänglich. Dort stehen Ordner, die Menschen raus, aber keine rein lassen. Ich schaue mich um und entdecke ein paar Leute, die den Hügel neben der Tribüne erklimmen und hinter der Kuppe – direkt neben der Tribüne – verschwinden. Als ich über die Kuppe rüber bin, sehe ich am Fuße des Hügels einen Zaun, hinter dem die Leute anstehen. Und einer nach dem anderen drüber klettern. Dahinter gibt es dann einen Zugang zur Tribüne und von dort aus sind es nur circa drei Meter Fallhöhe, die mich von der Strecke trennen. Auch hier stehen die Menschen wieder an, um nach und nach halbwegs koordiniert an einer Stele an der Tribüne nach unten zu klettern. Ich reihe mich ein und sauge die positive Aufgeregtheit der Chinesen um mich herum auf. Es ist eine Stimmung, in der ein kleines bisschen Freiheitsgeist lebt. Natürlich kein revolutionärer Geist. Aber schon ein bisschen der Gedanke „das dürfen wir eigentlich nicht. Aber es ist ganz cool, das mal auszuprobieren“. Die Leute helfen sich gegenseitig dabei, die Stele hinunter zu klettern und einer nach dem anderen gelangt so auf die Strecke.

Als noch ungefähr zehn Menschen vor mir stehen und ich schon ungeduldig (und ein bisschen schissrig) auf meinen Einsatz warte, wird die Gruppe um mich herum unruhig. Beim Blick nach vorne entdecke ich, wieso. Auf unsere Gruppe laufen vier chinesische Polizisten zu. „Shit!“, denke ich, „das war’s dann wohl“. Als die Polizisten bei unserer Gruppe ankommen, fangen sie an zu lachen. Und sagen etwas auf Chinesisch. Ich frage einen Chinesen vor mir, was sie denn gesagt haben und er sagt zu mir „they said: be careful, don’t fall!“

Und dann stehen sie da und schauen uns zu, wie wir die Stele hinunter klettern. Und scheinen sich ein kleines bisschen an dem Glück zu freuen, das jeder einzelne empfindet, der unten an der Strecke angekommen ist.

Im Hintergrund sind die Polizisten zu erkennen, die uns Geleitschutz gaben, anstatt uns vom Betreten der Strecke abzuhalten.
Im Hintergrund sind die Polizisten zu erkennen, die uns Geleitschutz gaben, anstatt uns vom Betreten der Strecke abzuhalten.

Es ist einer dieser wundervollen, kleinen Momente. In denen ich einfach selig bin, weil gerade etwas Schönes passiert ist. Nichts Großes, nichts Weltbewegendes. Aber ein kleines Zeichen der Güte, die es manchmal in der Welt gibt. Wenn in einem Land, das in der Vergangenheit weithin dafür bekannt wurde, dass die Regierung restriktiv und rigide gegen seine Bevölkerung vorgeht und das ich in der Gegenwart an vielen Stellen egoistischer und ellbogen-orientierter als viele rein-kapitalistische Staaten erlebt habe – wenn dieses Land plötzlich einen solchen Moment des Friedens hat. In dem die Staatsmacht milde lächelnd seiner Bevölkerung bei einer Straftat zusieht (die natürlich nicht viel mehr ist als ein Dummer-Jungen-Streich). Und die Bevölkerung dabei ausstrahlt: „okay, dass das geht, hätte ich nicht gedacht, aber es ist ziemlich cool“.

Auf der Start-Ziel-Geraden angekommen, komme ich so nah an die Formel1 wie nie zuvor in meinem Leben. Ich kann die abgestellten Autos fast berühren, so nah sind sie mir. Nur durch die Boxenmauer und einen Zaun getrennt. Auf die Boxenmauer kann man sogar klettern und so erkennen, was in der Boxengasse geschieht. Beispielsweise erleben wir mit, wie die Box Lewis Hamilton als Rennsieger hochleben lässt. Szenen, die man im Fernsehen so auch nur selten sieht. Ich wusste gar nicht, dass die so was nach jedem Rennen machen.

Das Team-Foto vom Rennsieger – eine Szene, die man so normalerweise nicht miterlebt.
Das Team-Foto vom Rennsieger – eine Szene, die man so normalerweise nicht miterlebt.

Neben vielen Chinesen treffe ich auf der Rennstrecke auch noch einige verrückte Formel1-Fans. Beispielsweise einen (latent alkoholisierten) Russen, der auf die Boxenmauer klettert und auf Russisch Anti-Putin-Sprechchöre intoniert (die ich mir natürlich von einem mitgrölenden Russen erst mal übersetzen lassen muss). Oder einen von Kopf bis Fuß auf Ferrari eingestellten Fan, der mir eines meiner buntesten Fotos beschert hat.

Shanghai - Ferrari-Clown
Viel mehr bunt viel schöner in Szene gesetzt, geht doch kaum, oder?

Am Eindrucksvollsten aber ist und bleibt der Typ mit dem Rucksack, von dem ich kein Bild habe. Und hätte ich eines, ich würde es hier nicht posten. Wieso? Weil ich nicht will, dass ihm in irgendeiner Form Unbill geschehen könnte. Auf dem Bild unten seht Ihr ein Plateau, auf dem zwei, drei chinesische Polizisten stehen. Dieses Plateau ragt in die Boxengasse hinein und von diesem Plateau aus gibt es zwei Treppen, die beide jeweils in die Boxengasse führen. Man erreicht es aber auch von der Seite der Rennstrecke aus – muss dafür aber auf die Mauer klettern.

Hinter dem Zaun ist das Metall-Plateau zu erkennen, auf dem die chinesischen Polizisten Wache halten.
Hinter dem Zaun ist das Metall-Plateau zu erkennen, auf dem die chinesischen Polizisten Wache halten.

Wenige Minuten, bevor dieses Foto entstanden ist, waren die Polizisten noch nicht da. Stattdessen standen auf diesem Plateau neben mir noch ungefähr 20 andere Leute, die von der Rennstrecke aus drauf geklettert sind. Wir standen quasi in der Boxengasse. Also zumindest drüber. Eben auf diesem Metall-Plateau. Dann plötzlich schien das aber irgendjemandem nicht zu passen und quasi aus dem Nichts kamen die Polizisten angerannt und scheuchten uns runter. Alle? Nun ja. Alle, bis auf einen. Den mit dem Rucksack. Anstatt nämlich gemeinsam mit uns zurück auf die Rennstrecke zu springen, geht er einfach seelenruhig an den Polizisten vorbei, die Treppe hinunter in die Boxengasse. Noch während er vorbei läuft, schaut er die beiden Polizisten an. Im Vorbeigehen. Als ob er sie mit seinen Blicken fragen will: „wollt Ihr mich nicht aufhalten?“. Als er an ihnen vorbei ist und unten in der Boxengasse steht – dem Heiligsten der Formel 1 – da schaut er mich an. Und seine Augen fragen: „passiert das hier gerade wirklich? Kann ich das machen? Die haben ja nix gesagt, also wieso eigentlich nicht?“ Und ich lächle. Dann dreht er sich um und läuft los. Und läuft die Boxengasse entlang.

Für einen Moment überlege ich, ob ich hinterher laufe. Und stelle fest, dass ich in diesem Moment riskieren würde, dass es für uns beide platzt. Dass sie mir den Weg versperren, auf ihn aufmerksam werden und ihn auch raus holen. Also springe ich einfach von der Boxenmauer zurück auf die Rennstrecke. Und laufe die Rennstrecke entlang. Nur wenige Meter entfernt, durch eine Mauer und einen Zaun getrennt, der Typ im Rucksack. Er ist immer noch da und er läuft immer noch die Boxengasse entlang. Macht hier ein Foto und da. Und wird von niemandem gestört oder aufgehalten. Ich weiß, dass er in diesem Moment einen der besten Momente seines Lebens erlebt. Einen Moment, von dem er noch seinen Kindern und Enkeln erzählen wird. „Wie ich in der Boxengasse von Shanghai rumgelaufen bin“. So oder so ähnlich wird seine Geschichte lauten. Und vielleicht steht sie heute in irgendeinem Blog irgendwo auf der Welt und ich habe keine Ahnung davon. Ich verliere den Typen aus den Augen. Und bin glücklich, dass er diesen Moment erleben durfte. Und bin auch ein bisschen stolz darauf, dass ich nicht riskiert habe, ihn kaputt zu machen, sondern im richtigen Moment zurück gesteckt habe. Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt. Irgendwie gar nicht so blöd, oder?

Ich habe jetzt alles gesehen, zig Fotos gemacht und dann noch diese Geschichte mit dem Typen mit dem Rucksack erlebt. Jetzt stehe ich hier – mitten im Gewusel auf dieser Rennstrecke. Um mich herum immer noch aufgedrehte Chinesen, die es immer noch aufregend finden, was sie alles sehen. Hier machen Leute Fotos, dort posieren sie auf der Strecke. Und da fällt mir die einzige Pose ein, die ich jetzt machen möchte. Weil sie ausdrückt, wie ich mich fühle. Wie ein ruhender Pol mitten im Auge des Sturms. Wie jemand, der angekommen ist, mitten im umtriebigen Gewusel. Und darum gibt es für mich nur ein passendes Motiv, das diese Stimmung festhalten kann. Der absolute Anti-Pol, der maximale Gegensatz. Die Meditations-Haltung als Symbol vollkommener innerer Ruhe auf dem wohl hitzigsten Punkt einer Rennstrecke – einer Start-Position auf der Start-Ziel-Geraden. Und so ist dieses Foto entstanden. Nicht nur, weil es gut aussieht. Sondern, weil es genau das aussagt, was es über diesen Moment sagen soll. Weil ich mich genauso gefühlt habe. Und wahrscheinlich sieht es auch nur deswegen gut aus.

Das Foto ist eines der Symbole dieser Reise. Wer es schafft, auch im größten Sturm seine innere Ruhe zu bewahren, der wird lächeln. Ehrlich lächeln. Lächeln, weil er zufrieden ist. Weil er Glück gefunden hat. So klein oder groß, so nah oder fern, ob bei sich selbst oder bei anderen. Es ist das schönste Gefühl, das es gibt. Und auch wenn Geld der Ausgangspunkt war, der mich überhaupt erst an diesen Ort geführt hat – dieses Lächeln ist mit Geld nicht zu erwerben.

Ein perfekter Moment.
Ein perfekter Moment.

Ich bin glücklich. Ich kann nach Hause gehen. Und mache mich auf den Weg, als mir jemand auf die Schulter tippt. „Ferdinand?“ Ich drehe mich um. „Hannah?“ Und bevor wir fassen können, wie unglaublich der Zufall ist, der uns jetzt hier wieder zusammengeführt hat, erzählen wir uns Geschichten. Die Geschichten, die wir mit und vor allem nach diesem Rennen erlebt haben. Und die Geschichten, für die am Vortag so plötzlich die Zeit gefehlt hat. Währenddessen machen wir uns auf den Weg. Während wir zur U-Bahn schlendern und uns weiter in Gespräche vertiefen, frage ich irgendwann, wo denn ihr Freund sei. Der sei ihr jetzt egal. Er wäre heute eh so abgelenkt gewesen, dass sie jetzt auch keinen Bock hätte, Rücksicht auf ihn zu nehmen. Der käme schon nach Hause. Ich frage, ob er nicht eifersüchtig werden würde, wenn seine Freundin jetzt mit irgendeinem Typen in die Stadt fährt, statt mit ihm. Sie sagt, dass ihm das nichts ausmacht. Ich bin verwirrt, aber glücklich. Denn so können wir unsere Gespräche weiter vertiefen. Die Stunde in der U-Bahn vergeht wie im Flug. Die Erzählungen sprudeln aus uns heraus und auf Basis dessen, wie dieses Mädchen spricht und was sie erlebt hat und wie sie die Welt sieht, kann ich mir nur über ihre Aussage und ihr Aussehen bewusst machen, dass sie tatsächlich erst 19 ist. Ich hätte so viel Lust, sie einfach einzupacken, zwei Flaschen Wein zu kaufen und mich mit ihr auf irgendein hohes Dach (und davon gibt es einige in Shanghai) zu setzen und die ganze Nacht und den nächsten Tag zu reden. In diesen interessanten Menschen einzutauchen. Ein Stück von ihr mitnehmen. Sie erleben.

Irgendwann aber ist die Stunde vorbei und der nächste Abschied unvermeidlich. Diesmal allerdings verabreden wir uns für den nächsten Abend. Und werden uns auch wiedersehen. Dort. Und einige Monate später in Deutschland, nachdem sie sich entschieden hat, doch erst mal wieder zurück zu kehren. Erst bei unserem Treffen in Deutschland erfahre ich mit einigem Erstaunen, dass es sich seinerzeit bei ihrem Freund gar nicht um ihren Partner sondern lediglich um einen guten Freund gehandelt hat. Ich bin erstaunt. Denn dieses Missverständnis war die Basis dafür, dass einige Dinge nicht passiert sind, andere dagegen schon. Manchmal geht das Leben diese Wege und wir wissen in diesen Momenten überhaupt nicht wieso.

Dass sie damals vermeintlich einen Freund hatte, hat mich davon abgehalten, jegliche Bemühungen zu intensivieren. Aus Respekt. Weil ich nichts Ernsthaftes kaputt machen wollte für die Chance auf vielleicht eine faszinierende Nacht oder einen besonderen Moment. Dieses Missverständnis allerdings hat das verhindert. Und damit Folgen gehabt. Denn hätte es dieses Missverständnis nicht gegeben, dann hätten wir heute vielleicht keinen Kontakt mehr. Vor allem aber hätte es dann die Jasmin-Blüte von Shanghai nie gegeben. Beides wäre ein unglaublicher Verlust gewesen. Vielleicht hat es also einfach so sein sollen. Ich mag diesen Gedanken. Sehr.

Die Jasmin-Blüte von Shanghai (coming soon)

In dieser Geschichte geht es darum, alles zum zweiten Mal und doch mit anderen Augen zu sehen. Es geht um das Finden und Verlieren von Nähe. Und um ganz verschiedene Arten von Nähe. Es ist die Geschichte einer Romanze, die gar keine Romanze ist. Und dann aber irgendwie doch. Und die an irgendwas gescheitert ist. Vielleicht an der Kultur, vielleicht an Schüchternheit, vielleicht an Mutlosigkeit oder sogar Angst. Die aber trotzdem sehr schön war.

Es ist die Geschichte von Jasmin. Bald hier.

Der langsame Tod einer fernen Heiligkeit (coming soon)

Tibet stirbt und als Tourist kann man dabei zusehen. Eine Kultur, die sich dem Außenstehenden mit viel Herzlichkeit und Güte präsentiert, wird ausgehöhlt. Der apathische Schmerz ist an allen Ecken grauenvoll greifbar. Die Landschaft bleibt dennoch atemberaubend schön.

Der Kontrast zwischen Staunen und Schmerz – bald in dieser Geschichte!

Glück, wo man es am Wenigsten erwartet (coming soon)

Kein Land dieser Welt gilt als so  verschlossen wie Nordkorea. Und keine andere Geschichte wird so aufmerksam gelesen werden wie diese, die ich über dieses Land schreibe. Sie wird anders sein als die meisten. Weil ich versucht habe, das Positive zu sehen. Weil ich mich bewusst habe blenden lassen. Und mich ehrlich gefragt habe, wie viel Blenden möglich und nötig ist.

Die Geschichte über Nordkorea ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Ich hoffe, ich kann ein paar davon aufklären. Bald. An dieser Stelle.

Du kommst hier net rein! (coming soon)

Diese Story handelt von meinem ganz persönlichen Grenzkonflikt. Leider auf der Reise von Nordkorea nach China. Erstere mussten mich loswerden, letztere wollen mich nicht rein lassen. Wie ich mich mit der chinesischen Grenzbeamtin verfeindete, anfreundete und ihre Freundschaft durch höhere Mächte wieder verlor – bald auf diesem Blog!

I knew you would be coming! (coming soon)

Hier kommt eine dieser Geschichten, die einen per Bauchgefühl weg von den geplanten und hin zu den richtigen Orten leiten. Und das – also das Bauchgefühl – stellt sich im Nachhinein als so wahnsinnig, so unglaublich richtig heraus, dass man es wirklich kaum glauben mag.

Es ist die Geschichte von und mit Jo Pikal. Bald hier.

Der thailändische Irrweg (coming soon)

Kurz nach meiner Landung in Bangkok übernimmt das thailändische Militär per Staatsstreich die Kontrolle im Land. Währenddessen wähne ich mich in hoffnungsfroher Erwartung, in Phuket oder spätestens Koh Phi Phi rauschende Partynächte zu erleben. Beides sind fragwürdige Entscheidungen, über die gesprochen werden sollte.

Bald…an genau dieser Stelle!

 

The Angry Canadian (coming soon)

Betrunkene sollte man nicht provozieren. Aber was tut man, wenn man selbst ganz ruhig ist und das Gegenüber einfach nicht aufhören will zu provozieren? Und wieso findet man eigentlich so viele Mädels, die zu zweit verreisen und furchtbar langweilig sind und so wenig Mädels, die alleine verreisen und meistens viel spannender daher kommen?

Das und mehr – bald hier im Eintrag über Koh Tao.

 

Package loss (coming soon)

Ein Paket von unschätzbarem Wert macht sich auf die Reise um die Welt. Voll bepackt mit allen Souvenirs meiner bisherigen Reise und gut verklebt mit philippnischem Paket-Band macht sich eine kleine Kiste auf den Weg von Legazpi nach Hamburg. Dass dabei nicht alles glatt gehen konnte, war ja irgendwie klar. Dass es so unglaublich schief läuft, hätte ich aber wirklich nicht erwartet.

Die Geschichte meines wertvollsten Pakets – Package Loss – bald hier!